Freitag, 13. Juni 2014

Thema Gesundheit: Prof. Dr. Ingrid Gerhard

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Als ich in der Univ. Frauenklinik in Heidelberg von allen Patientinnen mit gynäkologischen Erkrankungen Beschwerdebögen ausfüllen ließ, war ich überrascht, dass ca. 80% Darmprobleme hatten. Das hätte ich nie erfahren, wenn ich sie wie üblich nur nach dem Grund ihres Arztbesuches gefragt hätte.

Wenn Sie schon einige Zeit die Artikel in diesem Webmagazin verfolgen, wird Ihnen aufgefallen sein, wie oft ich die Bedeutung einer normalen Verdauung oder einer gesunden Darmflora betone: sei es bei den Artikeln zur Endometriose oder wiederkehrenden Scheideninfektionen oder bei chronischen Erkrankungen, wie Krebs.
 
Aber wie können Sie wissen, ob Sie einen gesunden Darm haben und ob Ihre Beschwerden, wie Konzentrationsstörungen oder Allergien mit Ihrem Darm zusammenhängen könnten? Um das herauszufinden, gibt es seit einigen Monaten ein umfassendes Buch von einem renommierten Umweltmediziner. Es heißt „Der Darm denkt mit“ und wurde von dem Umweltmediziner Klaus-Dietrich Runow verfasst. Ich habe es voller Begeisterung verschlungen, überwältigt von den modernen Methoden, die es heute in der Diagnostik gibt, und den weitgreifenden Behandlungsmöglichkeiten.

Sie werden sich erinnern, dass genau vor zwei Jahren einer der ersten Artikel dieses Webmagazins den Titel trug: “Und unser Bauch denkt wirklich mit“. In der Zwischenzeit gibt es viele neue Erkenntnisse, die beweisen, wie bedeutend unsere Darmgesundheit ist. Um Ihnen Ihren Darm als Schlüssel für Ihre Gesundheit näher zu bringen, habe ich mit dem Umweltmediziner Klaus-Dietrich Runow ein Interview geführt. Hierbei konnte ich natürlich nur die mir wichtigsten Fragen stellen, viele Antworten auf Ihre  persönlichen Fragen und Grundlagen zum Verständnis finden Sie in seinem Buch.

Ursache von Darmproblemen

Woher kommt es, dass heute so viele Menschen Probleme mit dem Darm und der Verdauung haben?

 Aufgrund des zunehmenden Verzehrs prozessierter Nahrungsmittel und der übermäßigen Verwendung von Farb-, Konservierungs- und Aromastoffen, steigt die biochemische und immunologische Belastung der Darmökologie. Die Folge sind nicht nur Beschwerden im Darmtrakt. Nahrungsmittel und Zusatzstoffe können Reaktionen in allen Organen verursachen.
 
Zu wenig Beachtung im medizinischen Alltag findet auch die Tatsache, dass Pollenallergiker sehr häufig auf Nahrungsmittel reagieren. Zielorgan Nr. 1 bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten ist mit über 40% die Haut. An zweiter und dritter Stelle folgen der Darm und die Lunge. Darüber hinaus gibt es auch klassisch immunologische und pseudoallergische Reaktionen im Gehirn. Synthetische Farbstoffe und Zusatzstoffe wie Glutamat (Geschmacksverstärker) können – besonders bei Kindern – zum ADHS führen, zum Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom.

Was ist ein Reizdarm?

Wenn Sie Ihrer Patientin sagen: Ihr Darm reagiert gereizt, weil Sie „überreizt“ sind, wird sie dafür sicher wenig Verständnis haben. Wie erklären Sie ihr diesen Zusammenhang?

Meinen Patientinnen erkläre ich, dass der „Reizdarm“ für mich zunächst keine Krankheit sondern ein Symptom darstellt. Die Aufgabe des Arztes/der Ärztin ist es herauszufinden, welche Gründe hierfür in Betracht kommen.

Meistens sind es eben nicht psychische Ursachen, sondern es liegen „organische“ Störungen im Darm vor: Allergien bzw. Pseudoallergien, Enzymschwächen oder mikrobiologische Fehlbesiedelungen durch Pilze, Parasiten, pathogene Bakterien und auch Würmer. Moderne genetische Stuhlanalysen decken hier pathogene Keime in einer bisher ungeahnten Präzision auf. Ab Herbst dieses Jahres werden wir auch auf diesem Gebiet neue Blutuntersuchungen anbieten können.
 
So lange Patienten nicht heftige Bauchschmerzen haben, sondern nur Blähungen, mal Verstopfung, mal Durchfall, nehmen sie diese Symptome ja nicht ernst. Wann sollten Patienten mit diesen Beschwerden zum Arzt gehen?
Grundsätzlich dürfen wir den Darm eigentlich gar nicht spüren, d.h. Durchfall, Verstopfung und Blähungen sind immer Krankheitszeichen, die näher abgeklärt werden müssen. Bei Beschwerden wie häufiges Aufstoßen, Grummeln im Bauch, Völlegefühl und Sodbrennen sollten zunächst Nahrungsmittelunverträglichkeiten ausgeschlossen werden.

Oft treten Darmstörungen nach einer Antibiotikumtherapie auf – und das manchmal sogar erst nach drei Monaten. Da die Patienten meistens nicht mehr daran denken, sollten wir Ärzte immer die Frage nach einer vorausgegangenen Antibiotikumtherapie stellen. Als Folge kann sich eine mikrobiologische Fehlbesiedelung und einer deutlich geminderten Zahl freundlicher Darmbakterien, der Probiotika, eingeschlichen haben. Ein Stuhltest ist hier unbedingt zu empfehlen.

Der Darm und Neurologische Erkrankungen

In Ihrem Buch beschreiben Sie ja, dass auch die Zunahme neurologischer Erkrankungen, wie Parkinson oder Alzheimer , mit dem Darm zusammenhängen. Wie erklären Sie das und was sagen die Neurologen dazu?

Es gibt direkte anatomische, biochemische und immunologische Verbindungen zwischen dem Darm und dem Gehirn. Jüngere Beobachtungen zeigen, dass Umweltgifte (z.B. Pestizide) nicht nur über den Blutkreislauf, sondern direkt über das enterale Nervensystem in das Gehirn gelangen und dort zu neurodegenerativen Prozessen führen können. Auch Entzündungen im Darm können sich direkt auf das zentrale Nervensystem auswirken. Die Immunzellen des Darmes sind assoziiert mit den Gliazellen im Gehirn. Kurz: Wenn die Darmimmunzellen entzündet sind, sind es auch die Immunzellen im Gehirn.

Der Darm und Psychische Erkrankungen

Gibt es auch einen Zusammenhang zwischen dem Darm und Depression, bzw. Burn-out
 
Depression oder Burn-Out sind für mich zunächst nur Symptome und keine Krankheiten. Ich möchte wissen, ob Entzündungen, Umweltgifte, Störungen der Verdauung, Nahrungsmittel und Nährstoffmangel den Gehirnstoffwechsel beeinflussen.

In meinem Buch habe ich den Fall eines 28- jährigen „Burn-Out“- Patienten beschrieben. Heftige Darmkrämpfe und daraufhin eingesetzte Antibiotikuminfusionen führten schließlich zu einer Gewichtsabnahme um 20 kg innerhalb von drei (!) Monaten. Da man weder im Blutbild noch bei radiologischen Untersuchungen (MRT) pathogene Befunde erheben konnte, wurde die Diagnose „Depression“ gestellt und Antidepressiva verordnet. Meine Untersuchungen ergaben eine Kuhmilch/Casein-Unverträglichkeit und eine starke Pilzbesiedelung des Darmes. Der Patient, der an den heftigen Darmbeschwerden / „Depressionen“ immerhin schon 2 Jahre litt, war innerhalb von einer Woche beschwerdefrei. Er ist es bis heute.

Der Darm und ADHS

Millionen von Kindern und zunehmend mehr Erwachsene werden wegen ADHS mit Psychopharmaka behandelt, oder sagt man besser „vergiftet“? Wo sehen Sie die Ursachen dieser Erkrankung, und was würden Sie Eltern mit unruhigen Kindern empfehlen?

Bei ADHS empfehle ich die Untersuchung von maskierten Allergien (Nahrungsmittelunverträglichkeiten). Farb-, Konservierungsstoffe sowie Geschmacksverstärker und Aromen sind zu meiden. Eine Stoffwechselanalyse (organische Säuren im Urin) kann einen erhöhten zellulären Bedarf an Nährstoffen aufdecken. Auf der Basis solcher Tests stelle ich eine Vitamin und Nährstofftherapie zusammen. Hier arbeiten wir mit US-amerikanischen Laborpartnern zusammen. Nicht fehlen dürfen umweltmedizinische Analysen (Schwermetalle, Porphyrine, Bisphenol A etc.).
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Der Darm und Rheuma

Kann man auch Rheuma über den Darm beeinflussen?

Eine mikrobiologische Fehlbesiedelung im Darm durch z.B. Yersinien, Campylobacter, Salmonellen, Pilze etc. kann zu systemischen Entzündungen führen – auch zu Arthritis.

Bei rheumatischen Beschwerden sollte u.a. auch an die Kreuzreaktivität zwischen Darmzellen (Colon-Epithelzellen) und Knorpelzellen gedacht werden. Wenn sich das Darm- Immunsystem aufgrund von Entzündungen, Allergien, Antibiotikagaben bzw. Umweltgifte durch Bildung von Antikörpern gegen eigene Strukturen wehrt, können diese auch andere Gewebe angreifen.

Eine Unterstützung der Darmflora mit freundlichen Bakterienstämmen und die Eliminierung von allergenen Nahrungsmitteln kann dazu beitragen, rheumatische Beschwerden zu lindern oder zum Abklingen zu bringen.

Sodbrennen - Folgen für den Darm

Die einen Ärzte verschreiben bei Sodbrennen Natron, die anderen Säureblocker, warum haben diese Mittel einen Einfluss auf unseren Darm? Was kann man noch gegen Sodbrennen tun?

Starke Säure, nämlich Salzsäure, gehört zur sinnvollen Ausstattung unseres Magens und ist unentbehrlich für eine vollständige Verdauungsleistung.
 
Den aktuellen Trend zur Blockierung der Säure durch Protonenpumpenhemmer (PPI), „Basenpulver“ etc. betrachte ich sehr kritisch. PPI gehören mittlerweile zu den am häufigsten verordneten Arzneimitteln in westlichen Industriestaaten.

Im Jahr 2009 wurden fast 2 Milliarden (!) Tagesdosen Säureblocker (PPI) verordnet – eine Versechsfachung gegenüber dem Jahr 2000. Die Hälfte wird nicht indikationsgerecht eingesetzt. Nicht nur bei „Reizmagen“ und Reflux werden die Präparate verwendet, sondern auch flankierend zu anderen Medikamenten als sogenannter „Magenschutz“ eingesetzt.

In der Folge kommt es zu Verdauungsstörungen, Immunsuppression, Resorptionsstörungen (z.B. Calcium) und einem erhöhten Osteoporoserisiko. Da die Patienten meistens kein Säureproblem haben, sondern nur dyspeptische Beschwerden, die durch Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder eine Verdauungsschwäche (Enzymmangel) verursacht sind, sollten zunächst differenzierte Untersuchungen erfolgen. Säureblocker sollten grundsätzlich nur kurzfristig verordnet werden.

Medikamente - Folgen für den Darm

Bei Antibiotika und Cortison wissen schon viele, dass diese Medikamente die guten Darmbakterien zerstören, aber was ist mit so gängigen, millionenfach verordneten Mitteln wie Aspirin oder Ibuprofen?Viele Medikamente führen zu einer Reizung der Darmschleimhaut und erhöhen die Durchlässigkeit des Darms. Beim „Leaky-Gut-Syndrom“ kommt es über einen verstärkten Einstrom von Nahrungsbestandteilen, Bakterien und Toxinen in den Blutkreislauf zu einer Immunbelastung, Allergien und Förderung von systemischen Entzündungsprozessen. In der Folge reagieren auch extraintestinale Organe, die häufig gar nicht mit dem Darm in Verbindung gebracht werden und deshalb nur symptomatisch behandelt werden.
 
Selbstverständlich sind es nicht nur Medikamente, die den Darm so reizen können. Viel häufiger sind es Bestandteile von Nahrungsmitteln und Zusatzstoffe. Da man auf die ja nicht verzichtet und man meistens auch gar nicht weiß, welche die Darmschleimhaut so angreifen, kann man auch keine Besserung der daraus resultierenden Leiden erwarten.

Nahrungsmittelallergien

Sie unterscheiden ja in Ihrem Buch Nahrungsmittelunverträglichkeiten von Nahrungsmittelintoleranzen. Welchen Unterschied macht das im Alltag für den Patienten?

Fast keinen. Den Patienten interessieren die akademischen Unterscheidungen nicht. Er muss wissen, welche Nahrungsmittel für eine bestimmte Zeit gemieden werden müssen, und wann er sie wieder im Rahmen einer 4-Tage Rotationsdiät dem Ernährungsplan hinzufügen kann. Bei den Intoleranzen können heftige Beschwerden auftreten, ohne dass immunologische Reaktionen ablaufen bzw. ohne dass Antikörper im Blut nachgewiesen werden können. Erschwerend kommen die Spätreaktionen hinzu. In der Regel steht der Mensch etwa 3-4 Tage unter dem Einfluss dessen, was er heute gegessen hat. Manche reagieren noch später. Hier wird es mit der Zuordnung und natürlich auch der Diagnostik schwierig.

Diagnostik von Darmerkrankungen




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