Mittwoch, 18. Juni 2014

Der Soziopath von Nebenan

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Aber nein - nehmen wir an, Sie sind anders. Sie sind ehrgeizig, ja, und für den Erfolg würden Sie vieles tun, was Menschen mit einem Gewissen nicht einmal in Erwägung ziehen würden, aber sie sind nicht besonders intelligent. Vielleicht sind Sie etwas intelligenter als der Durchschnitt, und vielleicht hält man Sie für clever. Aber in der Tiefe Ihres Herzens, wissen Sie, dass Sie weder die geistigen Fähigkeiten noch die Kreativität haben, um die schwindelerregenden Höhen der Macht zu erreichen, von denen Sie insgeheim träumen. Und das erzeugt einen Groll auf die Welt an sich, und Neid auf Ihre Mitmenschen.

In diesem Falle würden Sie sich in einer Nische einrichten oder vielleicht einer Reihe von Nischen, in denen Sie eine gewisse Macht über einige wenige Menschen ausüben könnten. Vielleicht könnten Sie so Ihren Machthunger zum Teil befriedigen, obwohl Sie fortwährend unzufrieden darüber wären, nicht mehr Macht zu besitzen. Es ist aufreibend, so frei von dieser lächerlichen inneren Stimme zu sein, die andere am Erreichen von Macht hindert, ohne selbst begabt genug zu sein, die höchsten Stufen des Erfolges erklimmen zu können. Gelegentlich verfallen Sie in mürrische, reizbare Launen, aus einer Frustration heraus, die nur Sie selbst verstehen.

Aber Sie mögen Jobs, die Ihnen eine gewisse, kaum beaufsichtigte Macht über einige wenige Einzelpersonen oder kleine Gruppen verleihen, vorzugsweise über Menschen oder Gruppen, die relativ hilflos oder verletzlich sind. Sie sind Lehrer oder Psychotherapeut, Scheidungsanwalt oder Trainer im Schulsport. Oder vielleicht sind Sie eine Art Berater, ein Makler, Inhaber einer Galerie oder in einer gehobenen Position in einem sozialen Beruf tätig. Oder vielleicht gehen Sie gar keiner bezahlten Tätigkeit nach, sondern sind Vorsitzender Ihres Gemeinderates, ehrenamtlich in einem Krankenhaus tätig oder Sie sind ein Erziehungsberechtigter.

Was auch immer Ihr Job sein mag: Sie manipulieren und schikanieren die Menschen unter Ihrem Einfluss, so oft und so niederträchtig Sie können, ohne gefeuert oder zur Verantwortung gezogen zu werden. Sie tun das aus Selbstzweck, ohne besonderen Grund, außer vielleicht um sich einen Nervenkitzel zu verschaffen. Menschen nach Ihrer Pfeife tanzen zu lassen, bedeutet, dass Sie Macht haben - oder zumindest empfinden Sie das so -, und andere zu schikanieren, verschafft Ihnen einen Adrenalinstoß. Es macht Spaß. 

Vielleicht reicht es nicht, um Vorstandsvorsitzender eines multinationalen Konzern zu werden, aber Sie können ein paar Leuten Angst einjagen oder Sie bestehlen - oder und das ist vielleicht der größte Spaß -, sie dazu bringen, sich zu schämen. Und das ist Macht, und zwar gerade dann, wenn die manipulierten Personen Ihnen auf die eine oder andere Art überlegen sind. Am spannensten ist es, Menschen zu demütigen, die klüger oder qualifizierter sind als Sie, oder vielleicht kultivierter, attraktiver, beliebter oder tugendhafter. Das macht nicht nur großen Spaß; es ist existenzielle Vergeltung.  Und ohne Gewissen ist es verblüffend einfach in die Tat umzusetzen. Sie servieren Ihrem Chef - oder dessem Chef - eine kleine Lüge, vergießen ein paar Krokodilstränen oder sabotieren das Projekt eines Kollegen oder täuschen einen Patienten (oder ein Kind), ködern Menschen mit Versprechungen oder streuen ein falsches Gerücht, das man nicht zu Ihnen zurückverfolgen kann. 



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