Montag, 25. Juli 2011

Bio-Bauer trifft auf deutsches Expertentum.

.
Über die Reaktionen auf die Attentate in Norwegen. 


Spätestens seit gestern habe ich ein neues Hobby, das mich komplett ausfüllt: Fremdschämen. Denn während in Norwegen angesichts der Attentate in Oslo und Utøya, die aktuell 92 Todesopfer forderten, Angst und Trauer dominieren, erlebt man hierzulande nicht zum ersten Mal eine Sternstunde des deutschen Expertentums. Das ist natürlich keine atemberaubende Neuigkeit. Allein 2011 machte der Otto-Normal-Experte eine wunderliche Metamorphose durch, musste er doch auf vielen Gebieten (Nahost, Fußnoten, Atomkraft, Antiamerikanismus und Waffenhandel) brillieren. Deshalb kann man erwarten, dass er auch zur Motivation eines psychisch kranken Bio-Bauern viel zu sagen hat. 
.
Der Allround-Spezialist empfindet es natürlich auch nicht als Hindernis, dass das Attentat nicht mal 48 Stunden her ist und selbst die norwegische Polizei keineswegs sicher weiß, was nun in der Psyche Anders Behring Breiviks vorgegangen sein mag. Nein, er versteht dies viel mehr als Aufforderung zum ausgiebigen Spekulieren und Verurteilen. Breivik selbst mutierte dabei innerhalb weniger Stunden vom Gaddafi-Gotteskrieger zum Al-Qaida-Terroristen, wurde zwischenzeitlich als CIA-Agent tituliert und soll mittlerweile nationalkonservativer Rassist sein – so die vorläufige Bestandsaufnahme der deutschen Spezialisten-Liga.
.
Beiläufig in die Runde geworfene Mitleidsbekundungen verleihen dem Experten-Stadl ein Quäntchen Charme, können allerdings nicht über das Ideologie-Battle hinweg täuschen, welches die zweifelhafte Tragikomödie dominiert. Denn was scheren uns ein paar Tote, wenn es doch gilt, den Kampf des Guten gegen das Böse, wahlweise auch zwischen Islamophobie und Islamophilie oder – ganz lapidar – „Links vs. Rechts“, auszufechten? Dass das Schicksal tausender Toter zugunsten des Jahrmarkts ideologischer Eitelkeiten missbraucht wird, ist zwar nichts Neues, aber dennoch bezeichnend. Fukushima-Syndrom lässt grüßen.


Nun ist es bekanntlich so, dass zwischen der Detonation einer Bombe und dem Aufschrei „Islamisten schlagen zu!“ nur wenige Sekunden liegen. Was wiederum völlig nachvollziehbar ist, sofern man bedenkt, dass radikal-islamistische Terroristen in den letzten zehn Jahren zig tausend unschuldige Menschen ins Jenseits befördert haben. Demnach war es zunächst durchaus lustig, die um sich greifende Empörung derer zu beobachten, die Sarrazin für einen Nazi halten und dabei den Kreuzberg-Mob als Ausdruck exotisch-kultureller Bereicherung verstehen.
.
Glühende Terroristenversteher, die die Unschädlichmachung Osama Bin Ladens offensichtlich immer noch nicht verkraftet haben, sprangen sofort für die große Gemeinschaft der Moslems in die Bresche – denn schließlich sei ja allein der Terminus „Islamist“ schon diskriminierend und daher unzumutbar für die zarten Seelchen aller Muslime. So wurde das Attentat in Norwegen zu einer Hetzjagd gegen vermeintliche Rassisten, die lediglich einen durchaus naheliegenden Verdacht äußerten, der sowohl durch die Medien sowie das Bekennerschreiben der Ansar-al-Islam bestätigt wurde. Während norwegische Jugendliche um ihr Leben kämpften, führte der deutsche Antifaschist Debatten über die „rechte Bedrohung“, wobei gemeinhin alles als „rechts“ gilt, was entweder in der Bundeswehr aktiv ist oder die CSU wählt.
.
Wie groß war da doch die Erleichterung, als Norwegen funkte, dass der verdächtigte Anders Behring Breiviks nun tatsächlich ein brutaler Ausländerhasser gewesen sein soll, noch dazu „rechts“, nationalistisch und christlich. (Die Tatsache, dass Breivik allerdings willkürlich um sich ballerte und nicht etwa eine Moschee sprengte, wird geflissentlich übersehen.) Wasser auf die Mühlen all jener, die es natürlich gleich gewusst haben wollen und nun erst recht gegen die NPD und PI-News auf die Straße gehen sowie ein umfassendes Redeverbot für Wilders und Sarrazin fordern. Die Wurzel allen Übels sei nun die Islamkritik – sobald der Brandstifter schweigt, wird alles gut. Überflüssig zu erwähnen, dass mittlerweile schon die ersten Moslems eine umfassende Entschuldigung von Medien und Gesellschaft fordern. Was natürlich ein bisschen dreist ist, da hier überwiegend der Islamist und nicht etwa der Döner-Mann vom Hauptbahnhof verdächtigt wurde - und dies nicht völlig zu Unrecht. Dass hier nun erneut das Attentat zugunsten der „muslimischen Ehre“ instrumentalisiert wird, ist natürlich pietätslos, geht allerdings in der Flut jener Nachrichten unter, welche die „rechte Gefahr“ thematisieren und aus gegebenen Anlass eiligst aus dem Archiv gekramt wurden. Allen voran natürlich die SPON-Redaktion, die sich zwar stets zu einer „Blond, blauäugig, skrupellos“-Schlagzeile hinreißen lässt, jedoch aus Rücksicht auf die Gefühle der Moslems niemals „Schwarzhaarig, braunäugig, mörderisch“ titeln würde.

Am anderen Ufer vereinigen sich hingegen schon all jene, die den Attentäter „irgendwie verstehen können“. Die Riege der überzeugten Neo-Nazis macht ihrem Ruf alle Ehre und applaudiert dem mutigen Bio-Bauern munter zu, da dieser angesichts der Auswüchse einer Multikulti-Gesellschaft „hilfsbereit und konsequent“ gehandelt hätte. Parolen, die man normalerweise nach erfolgreichen Attentaten auf der Straßen von Bagdad, Riad oder Gaza-Stadt vernimmt. Indes melden sich auch ein paar Hobby-Juristen zu Wort, die sich mildernde Umstände bei der Urteilsfindung wünschen – denn schließlich habe der junge Mann, der in Oslo wohl ständig Massen von Türken und Arabern ausgesetzt gewesen sein muss, lediglich „im Affekt“ gehandelt.
.
Auch anderswo drängt sich ein Eindruck auf, wonach manch einer wirklich ein bisschen enttäuscht ist, dass nur ein schnöder Biobauer aus Oslo, und nicht etwa der fanatische Islamist aus Pakistan für das Blutbad verantwortlich ist. Auch in solchen Kreisen wird fleißig Ursachenforschung betrieben – und letztlich stellt man fest, dass sowohl „der Islam“ als auch die verfehlte Integrationspolitik die Wurzel allen Übels sein sollen. Während der eine schon von der „Unterjochung Europas durch die Moslems“ phantasiert, plärrt der nächste lautstark „Türken raus!“. Deswegen sind viel mehr alle anderen, nur nicht der blonde Bio-Bauer selbst Schuld – denn der hat ja „irgendwie legitim gehandelt“.
.
Lustig ist, dass nun ausgerechnet diejenigen implizit den Terrorismus als angemessenes Mittel verharmlosen, die sich sonst als „Vertreter der Aufklärung“ profilieren und deshalb auch die Rückständigkeit des Islams kritisieren. Terror im Namen der Aufklärung? Klasse Idee. Ebenso amüsant wie die Tatsache, dass es genau diese Experten sind, die zurecht ein Ende der Täter-Opfer-Umkehrung fordern, nun aber in Breivik ein Opfer der ausufernden Multikulti-Gesellschaft sehen.

Und so avanciert das deutsche Expertentum zum Protagonisten einer Tragikomödie, die ihresgleichen sucht. Linke und Rechte ziehen in die Schlammschlacht und demonstrieren dabei exakt die selben Denk- und Argumentationsmuster, ohne es überhaupt zu bemerken. Stille Anteilnahme sowie Mitleid mit den Opfern und deren Angehörigen scheinen ganz offensichtlich eine Zumutung zu sein, die der jeweilige Verfechter des Guten nicht auf sich nehmen mag. Er will nicht schweigen, er will ideologisieren, und zwar jetzt auf der Stelle, unabhängig von all dem Leid, das Norwegen heimgesucht hat.
.
Der vermutlich rechtsextreme Biobauer steht einzig und allein in der Verantwortung, genauso wie der angeblich verzweifelte Hamas-Bomber im Gazastreifen. Und ebenso wie der islamistische Gotteskrieger hat auch der Attentäter aus Norwegen Probleme – zum einen psychisch, zum anderen mit der westlich-demokratischen Gesellschaft, in der wir leben. Dieses Merkmal eint alle Fanatiker, die auf unschuldige Menschen schießen, um so ihre wie auch immer gearteten Ziele zu erreichen. Deshalb ist es vorerst völlig irrelevant, ob der Täter nun blond oder schwarzhaarig war bzw. an Allah, Gott oder die Müllabfuhr glaubt – denn das derlei Attentate sich niemals völlig verhindern lassen, ist und bleibt Fakt. Und nachdem das Gros der deutschen Experten offensichtlich nicht erkennen will, dass ausnahmslos jede Art von Extremismus – egal ob links, rechts oder islamisch – zu verurteilen ist, muss man sich vermutlich auch weiterhin fremd schämen.

 .
 .
Kommentar dazu 

Dicker Onkel hat gesagt
Es gibt interessante Informationen, von denen man noch nicht weiß, wie sie einzuordnen sind:
 
Nur so gefragt. Keine Verschwörung. Neugier, was daraus wird.
.

Keine Kommentare: