Donnerstag, 28. Juli 2011

Interview über Sarrazin

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"Endlich wurde gesagt, was ohnehin gedacht wurde"

Monika Maron und Nekla Kelek sprechen über Islamkritik nach dem Massaker in Norwegen und über Thilo Sarrazins verhinderten Ausflug nach Kreuzberg.


 Foto: Reto Klar Die Schriftstellerin Monika Maron (l.) und die Wissenschaftlerin und Autorin Necla Kelek (r.): 
Mit "Welt Online" diskutierten sie über Thilo Sarrazin












Im Westen Berlins wohnt die Schriftstellerin Monika Maron, die Sozialwissenschaftlerin und Islamkritikerin Necla Kelek im Osten. Beide veranstalten abwechselnd in ihren Wohnungen Diskussionsabende. Mit Welt Online sprachen sie über Islamkritik und Thilo Sarrazin. 

Welt Online: Thilo Sarrazin wollte ein Jahr nach Erscheinen seines Buches in Kreuzberg mit türkischen Einwanderern reden. Stattdessen wurde er aus dem alternativen Berliner Stadtteil regelrecht vertrieben. Überraschend ist das nicht, oder?


Necla Kelek: Was ist genau passiert? Ein erfolgreicher türkischstämmiger Gastwirt wollte in seinem Lokal mit Thilo Sarrazin über dessen Thesen sprechen. Ein türkisches Paar bemerkt das und empört sich über das Treffen. Nach ihrer Vorstellung darf so etwas in ihrem linksalternativ-anatolischen Dorf Kreuzberg nicht stattfinden. Die selbst ernannten Dorfwächter mobilisierten ihr Kollektiv und machten dem Wirt Angst. Der reagierte wie in einem anatolischen Dorf. 

Er ruft nicht die Polizei, sondern beugt sich dem Druck. Dass selbst ein solch arrivierter Mann es nicht wagt, zu entscheiden, mit wem er in seinem Haus redet, das ist schon überraschend und zeigt, wie weit gewisse Bevölkerungskreise von einer Bürgergesellschaft entfernt sind. 

Monika Maron: Ich habe mit einer Freundin gestritten, die meinte, wenn Sarrazin in Kamerabegleitung nach Kreuzberg geht, muss er wissen, was passiert. Ein paar Idioten gibt es überall, die muss man ja nicht provozieren. Aber was bedeutet das eigentlich? Dass wir in Zukunft unsere Meinung nicht mehr öffentlich äußern dürfen, wenn wir uns in Gegenden mit vorherrschend anderer Meinung bewegen?
Oder dass jemand, dessen Meinung allgemein bekannt ist, wie bei Sarrazin, solche Gegenden gar nicht mehr betreten darf? Was sind das für diktatorische Anmaßungen, die von solchen Gruppen ausgehen? Und ich meine nicht nur migrantische Gruppen, sondern die Kreuzberger Ideologen jeder Couleur. Mich erinnert das alles an die absurden Diskussionen in der DDR. 

Welt Online: Was meinen Sie genau? 

Maron: Ich schreibe gerade an einer Geschichte, in der einem Mann, dessen Buch im Osten nicht erscheinen darf, vorgeworfen wird, dass er doch hätte wissen müssen, dass sein Buch nicht gedruckt wird, wenn er Wörter wie Mauer und Stasi reinschreibt, dass er ja vielleicht sogar gewollt hat, dass es nicht gedruckt wird, weil er lieber Westgeld als Ostgeld haben will. 

Genauso denunziatorisch wird jetzt über Sarrazin und auch über die Filmemacherin Güner Balci spekuliert: Sarrazin will nur noch mehr Bücher verkaufen, und Balci will sich profilieren oder hat andere unedle Motive. (was ich selber denk und tu .... Jani)

Welt Online: Als Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ vor einem Jahr erschien, haben Sie da geahnt, dass es zu einem der erfolgreichsten Sachbücher der Nachkriegszeit würde? 

Maron: Sarrazins Buch habe ich zwei Wochen vor seinem Erscheinen gelesen und habe zwar gedacht, na, das gibt Ärger. Dass es eine Staatsaffäre wird, habe ich nicht geahnt, auch nicht, dass es sich 1,5 Millionen mal verkauft. Aber dass es auf eine aufgeheizte Stimmung trifft und darum viele Interessenten finden wird, war anzunehmen. 

Schon ein halbes Jahr vorher war die Diskussion eskaliert, als in der „Süddeutschen Zeitung“ und der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ Necla Kelek, Henryk Broder und andere als Hassprediger, heilige Krieger und „Fundamentalisten der Aufklärung“ verteufelt wurden. 

Kelek: Die Debatte, warum die Integration bestimmter Gruppen schiefläuft, die gibt es doch wirklich schon länger. Und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass dabei die islamische Leitkultur auch eine Rolle spielt. Das drückt sich unter anderem darin aus, dass man das Kollektiv, die Familie oder religiöse Traditionen für wichtiger hält als die Rechte des Individuums. 

Die Geschlechtertrennung zum Beispiel ist immer noch Wirklichkeit, und das regt niemanden auf. Mädchen müssen zu Hause bleiben, während die Jungs die Straße beherrschen. Das Problem ist doch, dass wir diese Kinder für die offene Gesellschaft verlieren. Geschlechter-Apartheid ist aber für Grüne wie die Berliner Christian Ströbele und Özcan Mutlu kein Thema. 

Dass das nicht so sein muss, zeigen viele, die sich aus dieser kollektiven Bevormundung lösen. Das haben andere und ich lange vor Sarrazin gefordert. Und es gibt ja auch Erfolge und gute Ansätze. Ausgelöst wurden diese Anstrengungen durch die anhaltende öffentliche Debatte, aber besonders durch den Druck der Probleme. Die lassen sich nicht wegdiskutieren. Das erfahre ich immer wieder bei Gesprächen mit Lehrern, Ärzten, Sozialarbeitern und Polizisten. 

Man erlebt, dass etwas schiefläuft, und will über Veränderungen, die immer Verbesserungen sein sollen, diskutieren. Der Erfolg von Sarrazins Buch ist ein Misstrauensvotum der Bürger gegenüber der bisherigen Einwanderungs-, Sozial- und Bildungspolitik. 

Welt Online: Wird eine öffentliche Debatte jetzt nicht noch schwerer, wo sich nach dem schrecklichen Massaker in Norwegen Stimmen erheben, die Sie und andere zu stigmatisieren versuchen und andeuten, Köpfe wie Sarrazin seien geistige Brandstifter und Wegbereiter rechtsradikaler Gewalttaten?

Maron: Wenn jetzt schon von einer „bürgerlichen Mitte“ gesprochen wird, die einem irren Massenmörder den Boden bereitet hat, kann man wohl davon ausgehen. Auf die Art kann man aber jede nicht opportune oder auch nur nicht genehme Meinung unterdrücken, weil ein Wahnsinniger wie Breivik sich seinen Wahn in allem suchen kann, was an Gedanken durch die Welt fliegt.

Er wird bei Kafka so fündig wie bei Churchill oder Merkel oder sonst wem im Internet. Die Kritik am Islam – also am politischen Anspruch einer Religion, an einem archaischen Rechtssystem, an der Missachtung und Unterdrückung der Frauen – in die Verantwortung für den terroristischen Akt eines Geisteskranken zu nehmen, ist infam.

Wenn morgen ein Irrer ein Atomkraftwerk bombardiert, weil er beweisen will, dass Atomkraftwerke wirklich gefährlich sind, sind dann die Grünen dafür verantwortlich? Wollen wir Abtreibungen verbieten, weil ein anderer Irrer in Amerika Ärzte erschießt, die Schwangerschaften unterbrechen? Will jemand die Kritik am Kapitalismus und an Banken verbieten, weil linke Randalierer nachts Autos anzünden? 

Kelek: Ich bin fassungslos über diesen Terror, und mich bewegt das unendliche Leid der Menschen in Norwegen, wie mich zugleich beeindruckt, mit welcher Würde und Größe man diskutiert und zusammenhält. Leider nimmt die Debatte in Deutschland trotz anfänglicher Zurückhaltung nun wieder bittere Züge an. 

Hier wird immer gleich über Verbote und Schuldige geredet. Jahrelang haben die Parteien das Thema Integration kleingeredet, jetzt versucht man, die Auseinandersetzung mit einer Weltreligion wieder einmal zu tabuisieren. Und stereotyp wird das Kitschbild einer friedlichen multireligiösen Gesellschaft gezeichnet, das angeblich von ein paar unbelehrbaren Panikmachern und Hasspredigern mit Dreck beworfen wird. 

Wieder einmal wird die hohe Kunst des bewussten Falschverstehens wortreich vorgeführt. Und wieder einmal geht es vielen Medien und bis in die Niederungen des Internets nicht um das bessere Argument, sondern darum, den vermeintlichen Gegner vorzuführen, niederzuschreiben, eine Debatte zu verunmöglichen. 

Die Folge ist ein ideologischer und kein sachlicher Diskurs. Was zur Zeit an Verbindungen konstruiert, an persönlichen Beleidigungen, üblen Nachreden, Drohungen gegen islamkritische Stimmen durch die Medien geistert, erfüllt zum Teil strafrechtliche Tatbestände. 

Welt Online: Wir müssen uns nur daran erinnern, wie sowohl die Bundeskanzlerin als auch der Bundespräsident damals versuchten, eine Debatte über die Thesen Sarrazins schon im Vorfeld zu verunmöglichen. Warum diese staatsmännische Intervention? 

Maron: Man hat Sarrazin, und das finde ich nicht nur unmoralisch, sondern auch gefährlich, zur Unperson erklärt. Und damit hat man alle Leute, die ihm partiell oder ganz und gar zugestimmt haben, oder die fanden, er spräche etwas aus, was sie selbst seit Langem beunruhigt, auch zu Unpersonen erklärt. 

Auf der einen Seite wurde das Sprechverbot gelockert, indem man nun über Sarrazin und seine Thesen sprechen musste, andererseits aber wurden Sarrazin und damit auch seinen Sympathisanten die Prädikate rassistisch, rechtspopulistisch und Schlimmeres verpasst. 

Und wer sein Buch gar nicht gelesen hatte oder zu faul war, sich mit seinem Inhalt auseinanderzusetzen, und trotzdem darüber schreiben wollte, der verwendete das Wort, das in dieser Debatte Karriere gemacht hat: krude, Sarrazins krude Thesen. Das Wort krude würde ich zum Unwort des Jahres vorschlagen. 

Kelek: Und dann gibt es noch den inzwischen sehr erfolgreichen Versuch der politisierten Muslime, besonders der Türken und Kurden, die Debatte in ihrem Sinne zu führen. Ich erlebe immer wieder, dass diese Vertreter zu bestimmen versuchen, wie man über sie zu schreiben, wie man über sie zu reden hat. Wer sie kritisiert, ist schnell ein Rassist. 

Sie nutzen aus, dass man sie verstehen und ihnen helfen will. Doch es scheint ihnen eher darum zu gehen, die eigenen Interessen durchzusetzen. Das können die türkischen Nationalisten genauso wie die Vertreter des politischen Islam oder grüne Volksvertreter mit „Migrationshintergrund“. Sie hindern auch ihre eigenen Milieus, die Welt reflektierend und selbstkritisch zu betrachten und als eigenverantwortliche Bürgerinnen und Bürger aufzutreten. 

Welt Online: Wenn Sie versuchen, Sarrazin auf einen Punkt zu bringen, was zugegebenermaßen nicht ganz leicht ist: Was wäre das für Sie? 

Maron: Er diagnostiziert eine verfehlte Sozialpolitik, zu der eine verfehlte Bildungs- und Einwanderungspolitik gehören. Er spricht eben nicht nur über Muslime, sondern allgemein über die Unterschicht, in der Muslime allerdings überproportional vertreten sind. Und mit Unterschicht meint Sarrazin auch nicht Menschen, die wenig Geld haben, sondern ein Defizit an Bildung, Leistungswillen und sozialen Standards aufweisen. Es wird viel Geld ausgegeben, aber es kommt zu wenig und das Falsche dabei heraus. 

Was viele kritisierten bis verspotteten, war die technokratische Art, mit der er Nützlichkeitserwägungen in den Vordergrund stellte, die in Deutschland schnell als Kaltherzigkeit gelten. Dass Einwanderer den Gesellschaften etwas geben sollten, dass sie ihnen etwas schulden, diesen Gedanken kennt man in Deutschland nicht unbedingt. 

Maron: Er ist eben ein Statistiker, er erzählt keine Schicksale, sondern interpretiert Fakten, allerdings zuweilen in einer nicht sehr taktvollen Sprache. Manchmal zuckte man beim Lesen zusammen und dachte: Könnte er das nicht anders sagen? 

Kelek: Aber die Bevölkerung spürte, dass er den richtigen Ansatz hatte. Er wollte eben nicht wieder das Verstehen und Helfen in den Vordergrund stellen, sondern die Eigenverantwortung betonen und die Interessen Deutschlands. Mir fällt auf, dass gerade die Deutschen sich so wenig mit ihrer Gesellschaft identifizieren. Aber eine Gesellschaft muss sich Sorgen um sich selbst machen. Die bürgerlichen Parteien sind herausgefordert, diese Sorgen mit den Migranten zu teilen. 

Maron: Ich glaube schon, dass die meisten in der Tat das Buch gelesen haben. Sicher nicht alle Statistiken, aber doch die Kapitel, die sie besonders interessierten. Frau Merkel hat den Verkauf ganz gewiss beflügelt. Ein Buch, das die Kanzlerin verdammt, ohne es zu kennen, weckt die Neugier. Und der Kauf des Buches war auch eine Abstimmung über die verfehlte Integrationspolitik der Regierung. 

Man konnte kurz nach dem Erscheinen sogar den Eindruck haben, dass die Politiker aller Parteien verstanden hatten, dass sie etwas verändern müssen. Sie verdammten zwar Sarrazin, schienen sich seine Thesen aber zu eigen zu machen. Inzwischen sind wir wieder, wo wir vorher waren: Es geht wieder nur um Bildungs- und Sozialpolitik, die kulturellen und religiösen Traditionen als Quelle der meisten Probleme werden ignoriert, sogar schöngeredet. Bildung allein bewahrt aber nicht vor religiösem Fanatismus. 

Welt Online: Welche Fehler hat Sarrazin gemacht? 

Maron: Ganz sicher war es ein Fehler, in dem Buch die Integrationsprobleme mit der Vererbungs- und Intelligenztheorie zu mischen. Das war unnötig und irreführend. Und nach dem Erscheinen des Buches habe ich immer bedauert, dass jemand, der eine solche Debatte lostreten konnte, danach nicht imstande ist, wirklich in den Dialog zu treten und sein Anliegen so zu verteidigen, dass man ihm folgen will und kann. 

Das liegt aber auch in seinem Wesen, er ist kein Mediengenie, jedenfalls nicht für das Fernsehen, er wirkt eher schroff, selbstbezogen, ein bisschen dünkelhaft. Aber ein Mensch, der so angefeindet ist, die Arbeit verliert, von den eigenen Genossen verstoßen wird, hat es natürlich auch schwer, seine Rüstung fallen zu lassen. Seine Artikel allerdings haben mir gut gefallen. 

Kelek: Man hat die Auseinandersetzung mit seinen Analysen und Thesen sehr schnell personalisiert. Dazu hat er auch beigetragen, und die Debatte wurde teilweise zu einer Pro-und-contra-Sarrazin-Debatte. Ich hätte mir gewünscht, dass er seine politische Erfahrung mehr benutzt hätte, um seine Erkenntnisse auch der SPD und dem politischen Apparat zu vermitteln. Aber das hatte er von Beginn an nicht mehr in der Hand. 

Maron: Ja, aber das ist ja auch nicht sein Job, oder? 

Kelek: Ich war jüngst mit muslimischen Verbandsvertretern im Gespräch, und sie haben sich wieder nur als Opfer dargestellt. Kein Wort darüber, welche Verantwortung sie dafür tragen, was in den Moscheen passiert, wo ein Menschenbild gepredigt wird, das Männern erlaubt, ihre Frauen als Eigentum zu sehen, wo die Söhne zu Wächtern ihrer Frauen erzogen werden, und dies alles von selbst ernannten Hodschas. 

Wo sogar von einer Integration in die „unreine“ deutsche Gesellschaft abgeraten wird! Was dort gepredigt wird, was da für eine Welt herrscht, darüber darf niemand sprechen, schon gar nicht die Deutschen. Die sollen sich mit allem abfinden. Aber auch Muslime müssen Demokratie, Freiheit und Offenheit lernen, denn sonst erodiert die Zivilgesellschaft. Nur Zweifel und Kritik, und nicht Duldung und falsch verstandene Toleranz, führen zu Erkenntnis. 

Welt Online: Hat uns die Debatte über Sarrazins Thesen wirklich weitergebracht, oder machen Sie sich da etwas vor? 

Kelek: Nein, weil es immer noch nicht um Inhalte, sondern um Deutungsmacht geht. Ja, weil er das Thema Integration wie eine Schrankwand auf der politischen Bühne installiert hat. 

Maron: Ich bin froh, dass er das Buch geschrieben hat, denn endlich wurde ausgesprochen, was ohnehin gedacht und gemurmelt wurde, jetzt müssen wir offen darüber reden. Dass eine Sozialpolitik, die bedingungslos gibt, nicht funktioniert, weiß eigentlich jeder. Darum halte ich auch den Ruf nach dem allgemeinen Bürgergeld für Unfug. Das verkennt die menschliche Natur. 

Es wird immer Leute geben, die ehrgeizig sind, die viel arbeiten, weil sie etwas erreichen wollen, weil sie wer sein wollen oder etwas anderes sie antreibt. Und es wird immer Leute geben, die sagen: Na prima, wenn es auch anders geht. Und denen zu sagen, es ist uns Wurst, ob du etwas für die Allgemeinheit tust oder nicht, wir schleppen dich durch, ist verantwortungslos. Das funktioniert nicht. Es funktioniert in gar keiner Menschengruppe und in einem Staat und einer Gesellschaft schon gar nicht.


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