Akt der Selbstlosigkeit
Warum wir uns zu Weihnachten gerne beschenken
von Barbara Driessen
Die einen sehen es als einen Akt der Nächstenliebe, für die anderen geht es schlicht darum, Beziehungen zu pflegen. Einig sind sich viele Experten darin: Schenken schweißt die Gesellschaft zusammen.
Foto: Denphumi Jaisue/123rf
Geschenke und und die Christgeburt: Echte Geschenke kommen unberechnet und unverdient. Sie sind eine Art Vorgeschmack auf das Reich Gottes, das ein unverdientes Geschenk an die Menschheit ist.
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Für viele ist das Besorgen von Weihnachtsgeschenken eine mühsame Angelegenheit: Hat man an alle gedacht? Sind die Geschenke weder zu klein noch zu groß, weder einfallslos noch unpersönlich und auch nicht übertrieben? »Man irrt, wenn man glaubt, dass Schenken eine leichte Sache sei«, schrieb schon der römische Philosoph Seneca vor fast 2000 Jahren: »Es macht recht viel Schwierigkeiten, wenn man mit Überlegung geben und nicht nach Zufall und Laune verschleudern will.« Aber warum schenken wir uns überhaupt etwas, warum ist das ein fester Bestandteil unserer Kultur?
Für die Ethnologin Sigrun Preissing handelt es sich beim Schenken um eine »Transaktionsform«, die es überall auf der Welt gibt und die speziellen Ritualen unterliegt, etwa an Feiertagen oder an Geburtstagen. »Dabei geht es um die Herstellung oder Aufrechterhaltung von Beziehungen. Geschenke sind in der Regel ein Ausdruck dafür, dass mir an einer Beziehung gelegen ist«, sagt die Autorin. Und auch nach Ansicht des Kultursoziologen Gerhard Schmied stehen Geschenke für ein »riesiges Netz von Beziehungen«, das unsere Gesellschaft durchwebt, wie er schreibt: »Beziehungen, die letztlich nie vollkommen stabil sind, derer wir uns (...) letztlich nie vollkommen sicher sein können, sollen durch Geschenke stabil gehalten werden.«
Für den katholischen Theologen und Brauchtumsexperten Manfred Becker-Huberti hingegen ist Schenken »immer ein Zeichen des Mitgefühls, es geht um das liebevolle Betrachten meines Nächsten«. Man möchte anderen eine Freude bereiten. Dabei sei es ein Akt der Selbstlosigkeit, ein Verzicht auf den eigenen Vorteil: »Und genau darauf ist unsere Gesellschaft angewiesen, das hält sie zusammen.«
Auf ein Geschenk habe man keinen Anspruch, betont der evangelische Religionspädagoge Michael Wermke von der Universität Jena: »Es kommt unberechnet und unverdient.« Das Geschenk sei damit eine Art Vorgeschmack auf das Reich Gottes, das ein unverdientes Geschenk an die Menschheit sei. »Die Vorfreude darauf erleben wir beim Schenken«, erklärt Wermke. »An Weihnachten verschenken wir Freude darüber, dass Jesus der Weltenretter ist.«
Das wohl berühmteste Beispiel für vorbehaltloses Schenken findet sich in der Bibel: Denn schon dem in der Krippe liegenden Jesuskind überbringen die Heiligen Drei Könige Geschenke in Form von Gold, Weihrauch und Myrrhe. »Das waren äußerst wertvolle Geschenke, ein Zeichen der Ehrerbietung«, erläutert Michael Wermke: »Gold gebührte einem König, Weihrauch stand für das Priestertum, und Myrrhe galt als Heilmittel. Das waren herrschaftliche Geschenke, mit denen die Erhebung zum Messias deutlich gemacht wurde.«
Danach sollte es noch lange dauern, bis sich die Tradition der Weihnachtsgeschenke durchsetzen konnte. »In Deutschland hat es bis zur Reformation keine Geschenke gegeben«, sagt Becker-Huberti: »Es gab keinen Weihnachtsbaum, keinen Schmuck. Man feierte in der Kirche, dann gab es zu Hause ein besseres Essen als sonst. Das war alles.«
Dass in Deutschland heute Weihnachtsgeschenke unterm Baum liegen, gehe unter anderem auf Martin Luther (1483-1546) zurück, wie Becker-Huberti sagt: »Luther schaffte in protestantischen Gebieten alle Heiligen ab. Nur beim Nikolaus gelang ihm das nicht, weil er zu beliebt war.« Den Nikolaus, der Obst, Nüsse oder Plätzchen an Kinder verteilte, habe Luther dann bekämpft, indem er Geschenke zu Weihnachten eingeführt habe, beschreibt der Theologe.
Die Art des Schenkens zu Weihnachten hat sich im Laufe der Jahrhunderte deutlich verändert. »Früher schenkte man sich Sachen für den Alltag, etwa warme Winterkleidung oder Haushaltsdinge«, sagt Becker-Huberti. Erst später habe sich das gewandelt: »Den Leuten ging es langsam besser, und so konnte man es sich erlauben, nicht nur Nützliches zu schenken.«
Heute sei Schenken zur Routine geworden, kritisiert er: Es würden dabei jegliche Grenzen vergessen. Deshalb ruft der Theologe dazu auf, beim Schenken Mut zu zeigen und ruhig gegen ein paar Regeln zu verstoßen. »Denn auch mit ganz kleinen symbolischen Geschenken kann man eine Freude bereiten, die über den Tag hinausstrahlt.« Oder wie Friedrich Nietzsche (1844-1900) sagte: »Es ist das Vorrecht der Größe, mit geringen Gaben hoch zu beglücken.«
Evangelisches Sonntagsblatt
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