Letzte Hürden beseitigt:
EU bereitet CETA zur Abstimmung vor
Die EU-Kommission bereitet den Weg zur Abstimmung über das
Freihandelsabkommen CETA mit Kanada vor. Die EU ist es in letzter
Sekunde gelungen, die umstrittenen Schiedsgerichte neu zu strukturieren.
EU-Parlament und Rat werden im Juni abstimmen. Danach können die
Schiedsgerichte ihre Arbeit aufnehmen – auch ohne Zustimmung der
Staaten, weil sie in der alleinigen Kompetenz der EU liegen.
Die EU-Kommission hat am Freitag signalisiert, dass das Abkommen mit
Kanada im Oktober auf einem Gipfel unterzeichnet werden könnte: „Die
Mitgliedsstaaten unterstützen das Abkommen sehr stark“, sagte die
Vertreterin der niederländischen EU-Ratspräsidentschaft, Lilianne
Ploumen, am Freitag beim Ministerrat der EU-Handelsminister in Brüssel.
Nach massiven Einwänden aus den EU-Mitgliedsstaaten ist es der EU-Kommission gelungen, eine völlige Neufassung der Schiedsgerichte in das CETA mit Kanada einzubauen.
Ein Sprecher der EU-Kommission bestätigte den Deutschen Wirtschafts
Nachrichten die Neufassung zu diesem Punkt, der erst nach dem bereits
fertig verhandelten Vertragswerk eingefügt wurde – ein in der EU eher
ungewöhnlicher Prozess, der auf die Delikatesse der Materie verweist.
Der Sprecher lässt offen, ob es zu einer vorläufigen
Anwendung kommen wird – ob also Teile schon vor der Ratifizierung durch
alle Staaten angewendet werden: „Derzeit wird der CETA-Text
nach der inzwischen abgeschlossenen Rechtsförmlichkeitsprüfung, dem
sogenannten ,legal scrubbing‘, in alle EU-Amtssprachen übersetzt. Bevor
der CETA-Text dann dem Ministerrat zur Entscheidung vorgelegt wird,
spricht die Kommission eine Empfehlung aus, welchen Charakter das
Abkommen hat, also ob es ein gemischtes oder nicht-gemischtes Abkommen
sein könnte.“ Dies werde „sehr wahrscheinlich Anfang Juni sein. Das
Europäische Parlament muss ebenfalls darüber beraten und abstimmen,
wahrscheinlich ebenfalls im Juni. Ohne die Zustimmung der beiden
europäischen Gesetzgeber wird das Abkommen nicht angewandt werden, auch
nicht vorläufig.“
Der Sprecher über die Mitwirkung der nationalen Parlamente: „Befindet
der Rat, dass das Abkommen gemischt ist, müssen dann noch die
Parlamente der Mitgliedstaaten das Abkommen ratifizieren. Voraussetzung
ist immer, dass Rat und Europäisches Parlament dem Text zugestimmt
haben.“ Nach Informationen der Deutschen Wirtschafts Nachrichten wird
die EU auf Grundlage ihrer Juristen-Expertise das Abkommen als gemischt
ansehen. Der Sprecher: „Dieser Ratifizierungsprozess in den
Mitgliedstaaten dauert in der Regel zwei Jahre oder länger. Während
dieser Zeit kann das Abkommen vorläufig angewendet werden. Bei gemischten Abkommen betrifft das allerdings nur die Bereiche, die ausschließlich in der Zuständigkeit der EU liegen.“
Dies würde allerdings auf das Schiedsgericht zutreffen:
Laut Artikel 207 des 2009 in Kraft getretenen Lissabonner Vertrages
fallen ausländische Direktinvestitionen – also solche, die von den
Investitionsschutzkapiteln des CETA reguliert werden – unter die
alleinige Kompetenz der EU.
Der nun endgültige CETA Entwurf sieht vor, ein ständiges Schiedsgericht ins Leben zu rufen,
welches Streitigkeiten zwischen kanadischen und europäischen Investoren
auf der einen und Kanada und den europäischen Mitgliedstaaten auf der
anderen Seite schlichten soll (CETA Entwurf vom 29. Februar 2016, Artikel 8.27). Laut der Pressemitteilung der
EU-Kommission soll das ständige Schiedsgericht mit 15
„hochqualifizierten und ethisch über jeden Zweifel erhabenen” Juristen
bestellt werden.
Artikel 8.27(2) des Entwurfes sieht vor, dass fünf der Schiedsrichter Europäer, fünf Kanadier und fünf Staatsbürger von einem anderen Land,
also nicht der EU oder Kanada sein sollen. Interessanterweise spricht
der Entwurf des Abkommens hier von einem „Drittland“ und behandelt die
28 EU-Mitgliedstaaten als ein einheitliches Völkerrechtssubjekt.
Außerdem soll die Anzahl der Mitglieder des ständigen Schiedsgerichtes von einem gemeinsamen Gremium je nach Belieben vergrößert oder verkleinert werden,
jeweils in Dreierschritten. Wenn sich also nicht genügend
Schiedsrichter finden lassen die den hohen ethischen Ansprüchen des
Gremiums entsprechen, könnte das Schiedsgericht am Ende also aus nur
drei Mitgliedern bestehen. Ein starker Andrang für Kandidaten aus
immerhin 29 unabhängigen souveränen Staaten ist ein wahrscheinlicheres
Szenario.
Die Frage, ob es sich bei Freihandelsabkommen um gemischte Abkommen handelt, stellte sich bereits bei dem von der EU Kommission verhandelten Freihandelsabkommen mit Singapur (EUSFTA).
Nachdem das EUSFTA im Oktober 2014 fertig verhandelt wurde, ließ die
EU-Kommission die Frage der Rechtsnatur des EUSFTA vom europäischen
Gerichtshof (EuGH) überprüfen. Laut Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
(BMWI) sind die meisten EU-Mitgliedstaaten einschließlich Deutschlands
der Meinung, das Freihandelsabkommen wie EUSFTA nicht die
ausschließliche Kompetenz der EU, sondern auch die Kompetenzen der
Mitgliedstaaten betreffen.
Das Urteil des europäischen Gerichtshofes zur Rechtsnatur des Abkommens mit Singapur ist nach wie vor ausstehend.
Laut dem BMWI ist „während der Dauer des EuGH Verfahrens nicht mit
einer Unterzeichnung und Anwendung des Abkommens“ zwischen der EU und
Singapur zu rechnen. Dieselbe Logik müsste also auch für das CETA
gelten. Bis die grundlegende Frage zur Kompetenzverteilung zwischen der
EU und ihren Mitgliedstaaten nicht endgültig geregelt ist, kann die EU
stellvertretend für alle 28 Mitgliedstaaten ein weitreichendes
Freihandels- und Investitionsschutzabkommen im Grunde nur abschließen,
wenn sich Rat und Kommission darauf einigen.
Es ist denkbar, dass wegen des erbitterten Streits um TTIP ein Kompetenzstreit innerhalb der EU beim CETA ausbleiben könnte.
Ganz sicher ist das allerdings nicht: Am Freitag zeigte sich, dass es
immer noch sehr unterschiedliche Standpunkte gibt: Wegen der Front
gegen TTIP machten der deutsche Wirtschaftsstaatssekretär Matthias
Machnig und zahlreiche Minister in Brüssel deutlich, dass den nationalen
Parlamenten bei Handelsabkommen weiterhin ein Mitspracherecht
eingeräumt werden soll. Aussagen des italienischen Industrieministers
Carlo Calenda sagte dagegen, dass Italien es für zu risikoreich halte,
neben den Regierungen und dem EU-Parlament immer auch alle nationalen
Parlamente zu beteiligen. Ein solches Verfahren könne das Aus für die
europäische Handelspolitik bedeuten, sagte Calenda mit Blick auf die
Gefahr, dass Abkommen wegen des Widerstandes eines einzelnen Parlamentes
nicht in Kraft treten können.
Die Vertreterin der niederländischen EU-Ratspräsidentschaft, Lilianne
Ploumen, sagte mit Blick auf CETA gesagt, es handele sich nach der
Auffassung vermutlich aller Regierungen um ein sogenanntes gemischtes
Abkommen. Konkret müssen damit nicht nur die Regierungen, sondern – je
nach verfassungsrechtlicher Vorgabe – auch die nationalen Parlamente
zustimmen.
Die EU-Kommission verweist daher auf einen Punkt, der den EU-Staaten das Abkommen schmackhaft machen könnte.
Der Sprecher der EU-Kommission: „Kanada öffnet seine öffentlichen
Ausschreibungsverfahren für EU-Unternehmen in größerem Umfang als für
seine anderen Handelspartner. EU-Unternehmen werden – als erste
nicht-kanadische Unternehmen – in Kanada künftig nicht nur auf
Bundesebene, sondern auch auf Ebene der Provinzen und Kommunen Angebote
für die Lieferung von Waren und Dienstleistungen einreichen können. Das
geschätzte Volumen des öffentlichen Beschaffungsmarktes in Kanadas
Provinzen ist doppelt so groß wie das Marktvolumen auf Bundesebene.“
Deutsche Wirtschafts Nachrichten
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