Vitale Schmuddelkinder
In acht Länderparlamenten ist die AfD vertreten – Sie bietet ein schillerndes Bild voller Licht und Schatten
06.05.16
Regieren, gestalten, lenken – die
AfD-Größen machten auf dem Stuttgarter Parteitag deutlich, dass sie mit
ihrer Partei die Geschicke der Bundesrepublik aktiv mitbestimmen
wollen. Aber wie bewähren sich ihre „Parteisoldaten“ im politischen
Tagesgeschäft der Länderparlamente? Leicht machen es ihnen die
etablierten Parteien nicht. Fehler und Fehlverhalten leisten sich die „Anfänger für Deutschland“ allerdings auch selber.
Ab ins sonnige Kalifornien! Für drei Monate begleitet Jörn Kruse seine Ehefrau Carola Groppe nach Stanford. Die Gemahlin, eine Erziehungswissenschaftlerin, hat an der dortigen US-Elite-Universität eine Gastprofessur angenommen. Für Kruse (68) wird es sicherlich eine schöne Zeit. Stanford liegt im Santa Clara County, einem berühmten Weinanbaugebiet. Das Klima ist mediterran. Die Strände der San Franzisco Bay Area sind nah.
Nur: Kruse ist Fraktionschef der AfD in der Hamburgischen Bürgerschaft. Das Amt des Fraktionschefs gilt als Vollzeitaufgabe. Es ist mit dreifachen Diäten, rund 8000 Euro, und einem Dienstwagen ausgestattet. Rein formal lässt sich an Kruses Langzeit-Sause in den Sonnenstaat nichts aussetzen. „Das Mandat ist frei. Daher gibt es keine Anwesenheitspflicht“, erklärte Ulfert Kaphengst, Sprecher der Bürgerschaft, dem „Hamburger Abendblatt“. Nicht ohne Süffisanz fügte er hinzu, dass der Abgeordnete eben nur seinem eigenen Gewissen verpflichtet sei.
Gewissen und politisches Gespür hat Kruse wohl nicht im Reisgepäck seiner Kalifornientour. Leichter und schneller als durch solche Aktionen lässt sich das Ansehen einer Partei im politischen Alltagsgeschäft kaum demontieren. Zumal die ungeliebten „Anfänger für Deutschland“, wie die „Welt“ das Kürzel AfD jüngst interpretierte, allseits unter besonders scharfer Beobachtung stehen.
In
einer einzigartigen Erfolgserie und gegen eine nie gekannte einseitige
Medienberichterstattung haben sie es geschafft, binnen kürzester Zeit in
acht von 16 Länderparlamenten einzuziehen. 61 AfD-Abgeordnete versuchen
dort, nationalliberale und wertkonservative Politik umzusetzen. Gleich
26 sind es in Sachsen-Anhalt, wo der AfD-Abgeordnete Daniel Rausch
gerade zum Landtagsvizepräsidenten gewählt wurde. Bei den nächsten
Wahlen im September werden aller Wahrscheinlichkeit nach auch etliche
Parteikollegen in die Parlamente von Mecklenburg-Vorpommern und Berlin
einziehen.
Um für negative Schlagzeilen zu sorgen, reichen allerdings auch die bisherigen 61 aus. Partei-Chefin Frauke Petry musste im Januar einem Wahlprüfungsausschuss in Sachsen unter Eid darüber Auskunft geben, ob Mitglieder ihrer Fraktion zu Krediten an die Partei genötigt worden waren. Da die Fraktionsvorsitzende und das sächsische AfD-Vorstandsmitglied Carsten Hütter sich in mehreren Punkten widersprachen, stand der Vorwurf des Meineides im Raum. Die zuständige Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren jetzt allerdings ein. Frauke Petry hat noch einmal Glück gehabt. Der Ausschuss in Dresden sei keine „zur Abnahme von Eiden zuständige Stelle im Sinne des Strafgesetzbuches“ gewesen.
Dagegen wirkt ein anderer Vorfall fast schon wie eine Lappalie. Für höhnische Artikel und Kommentare sorgte er trotzdem: Die sächsischen AfD-Parlamentarier stellten im Januar einen Antrag zum Thema „Häusliche Gewalt“. Eine Angeordnete der Grünen entdeckte, dass er in weiten Teilen abgeschrieben war. Die Partei „Die Linke“ hatte ihn vor drei Jahren fast wortgleich in Mecklenburg-Vorpommern eingereicht. „Das Schriftstück wurde von einer parlamentarischen Beraterin gefertigt, die die Fraktion inzwischen verlassen hat“, vermeldete ein AfD-Sprecher kleinlaut.
Ist die AfD „in den Parlamenten also doch keine Alternative“, wie die SPD-eigene Zeitung „Vorwärts“ bereits jubelte? Vielleicht hilft der vergleichende Blick auf die politischen Gegner weiter: Wie es in anderen Landtagsfraktionen zugeht, beschreibt etwa Gerhard Besier in seinem Buch „Fünf Jahre unter Linken“. Der ehemalige Leiter des Dresdner Hannah-Arendt-Institutes für Totalitarismus-Forschung saß für die Linkspartei von 2009 bis 2014 im sächsischen Landtag. Er berichtet von Berufsversagern, die sich in den Abgeordnetenjob gerettet hätten, und von einem denunziatorischen Klima, in dem die persönlichen Ränkespiele mehr zählten als die fachliche Kompetenz.
Besier urteilt generell kritisch über das Wirken der Parteien auf Länderebene. Sein Insiderbericht zeichnet ein tristes Bild des Länderparlamentarismus, der kaum Vitalität verströme. Das allerdings dürfte sich mit den 61 AfD-lern deutlich zum Positiven geändert haben. Die ungeliebten Polit-Schmuddelkinder sind laut. Sie sind daneben. Sie machen Fehler, aber sie stellen Fragen, wo alle anderen schweigen. Es war eine Kleine Anfrage des Thüringer AfD-Politikers Jörg Henke, die den Skandal ans Tageslicht brachte, dass die dortige Landesregierung linksextreme Gruppierungen mit zehntausenden Euro unterstützt und sie per Bus zu Demonstrationen transportieren lässt.
Eine neue Stimme erklingt in den Parlamenten und sie fordert die etablierten Parteien zu entlarvenden Gegenreaktionen heraus. Zum Beispiel, wenn der thüringische Landtag einen AfD-Antrag abschmettert, in dem Maßnahmen gefordert werden, um christliche Flüchtlinge vor Übergriffen in Landesaufnahmestellen und Asylbewerberunterkünften zu schützen. Als „konstruierte Vermutung“ tat der integrationspolitische Sprecher der Thüringer CDU-Fraktion, Christian Herrgott, die Christenverfolgung in den Immigrantenheimen ab – trotz Dutzender bekannter Fälle.
Dass es die Parlamentarier von CDU und SPD mit dem Übernehmen geistigen Eigentums ebenfalls nicht so genau nehmen, bewiesen sie übrigens gerade im sächsischen Landtag. Nachdem sie einen Antrag der AfD für die Einrichtung bestimmter Bahnstrecken als „völlig unnötig“ abgelehnt hatten, brachten sie ihn zwei Wochen später einfach selbst ein.
Frank Horns
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