Sonntag, 12. April 2015

Das Verschwinden der Musik

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PEGIDA. PEGIDA. Immer wieder PEGIDA. Was wurde darüber schon geschrieben. Auch bei Buergerstimme. Vielleicht liegt das daran, dass PEGIDA ein Phänomen ist, in dem sich mehr äußert, mehr bündelt als Kritik an Islamismus, Zuwanderung und deutscher Regierungspolitik. Vielleicht ist PEGIDA der Kuckuck in Deutschlands Schuld- (nicht Schulden!)-Uhr, der unüberseh- und -hörbar aus dem Häuschen springt und penetrant eindringlich die Zeit durchgibt:
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Fünf-vor-Zwölf!
(Kuckuck)
Fünf-vor-Zw!
Ja, der Kuckuck nervt. PEGIDA soll endlich verschwinden, meinen viele. Dabei wäre es angebrachter, dankbar für diese Bewegung zu sein, weil sich an ihr und am Umgang mit ihr so viel über den Zustand unseres alten, verlotterten Deutschland ablesen lässt, wie sich an jener Kuckucks-Uhr die Zeit ablesen lässt.
Zu welch dreisten Sprachmanipulationen das vereinte Gegenbündnis greift, haben wir schon beschrieben und daran bewiesen, dass die Gegenseite im Unrecht ist, weil zum Mittel der Dialektik nur greift, wem es entweder an Argumenten mangelt, oder wer gar nicht beabsichtigt, sich auseinander zu setzen, sondern den Gegner ausschließlich herabwürdigen, provozieren und das Thema meiden will. An anderer Stelle warfen wir einen Blick auf die kulturelle Bedeutung desVerdunkelns von Kölner Dom und Semperoper. Hier nun soll ein drittes Phänomen herausgegriffen werden.
Einer der seltsamsten Begleitumstände von PEGIDA ist, dass die Bewegung fast gänzlich ohne Musik statt findet. Kein offizieller PEGIDA-Song, keine Youtube-PEGIDA-Maintheme, keine Bands, die bei PEGIDA spielen, und bis auf die Nationalhymne in Leipzig keine gemeinsamen, wie Schlachtgesänge gesungenen Stimmungsmacher. Ist Musik zu lebendig für PEGIDA? Ist die Lage zu ernst für Musik?
Wie haben sie sich damals engagiert, die britischen und US-amerikanischen Topstars, als es gegen den Vietnamkrieg ging. Jimi Hendrix malträtierte erst die US-Hymne mit der Stratocaster, um selbige dann einem Opferritual gleich auf der Bühne anzuzünden. Lennon sang “Imagine” und “Give Peace a Chance”. Davor hatte er sich nackt ausgezogen und war mit Yoko Ono ins Bett gegangen. Skandal. Aber öffentlichkeitswirksam. Alles für den Frieden.
Wie haben sie sich positioniert und eigene Stücke beigetragen, die deutschen Liedermacher, als es gegen den NATO-Doppelbeschluss ging, als die atomare Aufrüstung Ost und West ängstigte. In der DDR nannte sich gar eine ganze dem System gegenüber auf anti gebürstete Subkultur nach der Musik, die sie hörte: die Blueserszene suchte Freiheit, lebte ihre ostdeutschen Hippie-Ideale und wollte natürlich Frieden. Ihr Logo war ein Aufnäher mit einem Bibelspruch: “Schwerter zu Pflugscharen”. Wer den als Jugendlicher auf der Jeansjacke trug, wurde sofort als staatsgefährdendes, “subversives Element” eingestuft.
Westliche Rock- und Popmusik war eines der wenigen Dinge, vor der die DDR-Regierung rechtzeitig kapitulierte, weil sie begriff, dass ein Verbot die Jugend des Landes stärker gegen den Staat aufbringen würde als Reiseverbot und Versorgungsknappheit. Also wurde es in Maßen genehmigt und beide Augen zugedrückt. Die Musik war für viele junge Menschen in der DDR die einzige Fluchtmöglichkeit und der einzige Rückzugsort.
Gehen wir noch weiter zurück, in die Zeit der Entstehung der Arbeiterbewegung und des Kommunismus als Antithese zum Kapitalismus. Auch diese Bewegungen hatten ihre Musik: die Marseillaise, die Internationale, sehr viel schmissige Marschmusik. Die nationalsozialistische Bewegung setzte ebenfalls auf Musik, vor allem auf Schlager. Wie überhaupt jede Bewegung – sei sie politischer, militärischer, sportlicher oder religiöser Natur – welche Menschen zu einem gemeinsamen Ziel motivieren und zusammenschmieden will, unbedingt auf die passende Musik zurückgreifen wird bzw. sich ein eigenes Liedgut, einen eigenen musikalischen Kanon oder eine eigene Hymne zulegen wird. Was auch deshalb meist hervorragend gelang, weil sich Künstler stets gern in den Dienst neuer Bewegungen stellen, waren sie – die oft linke, intellektuelle Avantgarde – oft doch selbst diejenigen, die neue Bewegungen zu Beginn mit inspirierten. Ein gegenseitiges Geben und Nehmen.
Wieso hat nun ausgerechnet PEGIDA keine Musik? Mögen sich die Musiker wie eigentlich immer im linken Spektrum sammeln und somit im Prinzip geschlossen gegen PEGIDA stehen – es bliebe immer noch jener gewaltige musikalische Fundus Deutschlands, aus welchem man sich bedienen könnte. Doch bis auf die Nationalhymne hat es kein Lied zu PEGIDA geschafft.
PEGIDA startete zwar vergangenes Jahr in Dresden ganz bewusst als schweigender wöchentlicher Abendspaziergang. Die Abwesenheit von Geräuschen war als Kontrapunkt zum omnipräsenten Geschrei der politisch-medialen Hysterie gesetzt worden. Musik hätte in dieser Anfangsphase den ohnehin negativen (Nazi-Verführungs-)Anstrich, mit dem man PEGIDA versah, zusätzlich verstärkt. Doch davon hat sich die Bewegung längst emanzipiert. Dass es keine Musik gibt, hingegen blieb.
Was nun schlicht bedeutet, dass es – je stärker die Bewegung angefochten wird – immer mehr um alles geht. Wo Musik ist, da ist Leben. Keine Musik bedeutet, dass die Muse, die Leichtigkeit verschwunden ist. Es bedeutet, dass das Leben hart und anstrengend ist, schwer bedrückt wird, kaum atmen kann und bildlich gesprochen mit dem Tod ringt, mit dem Tod des eigenen Landes, aber auch damit, dass die persönliche Existenz durch die Teilnahme an PEGIDA bedroht sein kann. Etwa, weil dem eigenen Kleinunternehmen plötzlich alle Aufträge der öffentlichen Hand wegbrechen, die es bisher stets regelmäßig gab.
Es bedeutet, dass man über Wichtigeres nachdenken muss als darüber, welche Musik bei PEGIDA gespielt werden sollte. Beispielsweise, wie man mit heilen Knochen durch die hasserfüllten, tollwütigen Antifa-Brüllaffen hindurch kommt. Oder wie man als Organisator für möglichst keinen Teilnehmer eine Gefahr für Leib und Leben heraufbeschwört, ohne in den eigenen Positionen windelweich zu werden. Wenn die Luft voller Blei ist (und das ist sie – metaphorisch), bleibt keine Zeit für die Musik. Deshalb weist das Fehlen von Musik bei PEGIDA auch auf den unvorstellbaren Druck hin, auf die ununterbrochenen Angriffe von allen Seiten, denen PEGIDA ausgesetzt ist. Die Bedürfnispyramide muss von unten her gesichert werden. Über die nackte Existenz ist PEGIDA noch nie hinausgekommen. Musik – ein Traum, den man hinzuträumen könnte, wenn es nicht mehr um alles gehen würde. Wenn PEGIDA ein wenig mehr Woodstock und ein wenig weniger vollarmiertes Sondereinsatzkommando bedeuten würde.
Auch diesbezüglich ist man wieder versucht zu sagen, sieh an, wie weit dieses Land vor die Hunde gekommen ist. Das Land, welches Händel, Bach, Beethoven, Schuhmann, Wagner, Strauss, Brahms, Kurt Weill, Udo Jürgens, Udo Lindenberg, Kraftwerk, Scorpions, Herbert Grönemeyer, Frank Farian, Rio Reiser, Alphaville, Gerhard Schöne, Reinhard Mey, Reinhard Lakomy, Pankow, Die Ärzte, Selig, Xavier Naidoo, Fanta Vier, Rammstein oder Peter Fox hervorbrachte, ist nicht mehr in der Lage, in dieser Auseinandersetzung über Musik zu kommunizieren. Musik, die immer mit von der Partie war, wenn sich irgendwo etwas in Bewegung setzte, schweigt in diesen Tagen. Ein düsteres, schattenwerfendes Schweigen.
In einem zweiten Teil soll das Phänomen der Musik und ihre gegenwärtige Rolle noch eingehender betrachtet werden.

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