Post aus Zypern: Die Praxis der Landnahme
Ich wollte eigentlich auf dieser den Menschen von den Göttern geschenkten Insel mal für eine Woche die von der Politik befeuerte Flüchtlingskrise vergessen. Ich wollte am Geburtsort der Aphrodite und in alten Klöstern einfach die vergehende Schönheit Europas genießen.
Im Nationalmuseum in Nikosia kann man sehen, dass die Steinzeitzyprer bereits Handelsbeziehungen über das Mittelmeer hinweg pflegten. Einige Steinschaber sind aus Obsidian, der auf der Insel nicht vorkommt. Hier entstanden 3 000 vor Christus Kreuzmenschen aus Speckstein, die mich fragen lassen, ob das Kreuz der Christen von den Heiden übernommen wurde. Aus der Keramikzeit stammen Fayencen von einer so lebendigen Bildsprache und Farbigkeit, dass einem der Atem beim Betrachten stockt. Die lächelnden Büsten und Statuen von 500 vor Christus erregen Staunen, wie die Tonfiguren, die Szenen des Alltags zeigen, sogar Geburten.
Am meisten beeindruckt hat mich die zyprische Terrakottaarmee von 625 bis 500 vor Christus, die 1929 vom Schwedischen Archäologen ausgegraben wurden und die sich erheblich von der berühmten Terrakottaarmee Chinas unterscheidet. Während die Chinesen Einheitlichkeit und Gleichförmigkeit ausstrahlen, ihre Unterschiede auf wenige Merkmale, wie Frisur, Waffe oder Kleidungsdetails beschränkt sind, besteht die zyprische Gruppe aus ganz unterschiedlichen Individuen. Es gibt große und kleine, freundliche und unfreundliche, sehr individuell gekleidete, bärtige oder glattrasierte Figuren. Europa war schon vor Christus kleinteilig und vielfältig. Das sollte sich im Laufe der Entwicklung als seine Stärke erweisen. Alle Bestrebungen, aus Europa einen Einheitsstaat zu machen, sind deshalb geschichtsvergessen.
Keine Viertelstunde vom Nationalmuseum entfernt befindet sich die Grenze, die das Land und seine Hauptstadt in einen griechischen und einen türkischen Teil spaltet. Diese Grenze gibt es seit dem bewaffneten Überfall der Türkei auf Zypern im Jahre 1974. Die Türkei besetzte den Norden des Landes, sowie einen Teil Nikosias und vertrieb mit Gewalt alle Griechen aus den von ihr besetzten Gebieten. Bis dahin hatten Griechen und eine Minderheit von Türken friedlich miteinander gelebt.
Die ethnische Säuberung des Nordens war gründlich. Die Griechen wurden ihrer Häuser und ihres Besitzes beraubt. Bis 2003 durften sie den türkisch besetzten Teil der Insel nicht betreten. Seitdem dürfen sie besuchsweise ihre alten Dörfer wiedersehen, nur um festzustellen, dass sie immer weniger wiedererkennen. Systematisch werden griechische Häuser abgerissen und durch gesichtslose Neubauten ersetzt. Aus Orten, die 1974 gerade mal 3 000 Einwohner hatten, sind Städte mit zehntausenden Bewohnern geworden, die zum größten Teil aus Anatolien stammen. Die Türkei unterhält eine Besatzungsmacht von 40 000 Soldaten, während die Republik Zypern gerade einmal 10 000 Armeeangehörige hat.
Um der ständigen Bedrängnis durch die Türkei zu entkommen, trat Zypern 2008 der EU bei. Da Nordzypern nie als selbstständiger Staat anerkannt wurde, wurde es ebenfalls Mitglied der EU, wenn auch nicht mit allen Rechten. Man muss sich das wie die stille EG-Mitgliedschaft der DDR vorstellen. Seitdem fließen reichlich EU-Gelder in den Norden, weil er der weniger entwickelte Teil der Insel ist. Zum Beispiel kann man jetzt im türkischen Teil von Nikosia eine mit EU-Geldern restaurierte Karawanserei bewundern, während die christlichen Kirchen in einem beklagenswerten Zustand sind, weil sie keine Gemeinden mehr haben, die sich um sie kümmern können. Die EU lässt auch zu, dass Zypern keine Überflugsrechte über die Türkei hat. Das ist besonders im Hinblick auf den Tourismus hinderlich. Die zyprische Fluggesellschaft ging deshalb pleite. Dafür darf die Türkei ungehindert ihre landwirtschaftlichen Produkte in den Norden bringen und von dort verkaufen. Nun gelten türkische Kartoffeln, Gemüse, Früchte und Oliven als EU-Produkte, ohne die EU- Standards erfüllen zu müssen.
Die Türkei denkt nicht daran, die griechische Stadt Famagusta zurückzugeben, wie sie sich verpflichtet hat. Sie kann darauf vertrauen, dass die EU von ihr die Vertragserfüllung nicht einfordert. In Zypern gibt es bis heute eine Besatzungsmacht, die unbeirrt versucht, ihre Landnahme irreversibel zu machen. Das wird durch sichtbare Symbole unterstrichen: Auf einen Berghang im Norden wurde eine riesige türkische Fahne eingefräst, die bis nach Nikosia gut sichtbar ist, auch nachts, denn sie wird farbig beleuchtet. Auf jeder der vielen neugebauten Moscheen und auch auf den in Moscheen umgewandelten christlichen Kirchen weht die türkische Fahne. Die Minarette sind unsere Speerspitzen, hat Erdogan gesagt.
In Zypern kann wurde sein Wort zur materiellen Gewalt. Als ich in Ammochostos vor der Nikolaus-Kathedrale stand, die wie geköpft wirkt, weil ihr Dachaufbau fehlt und das Minarett sah, das aus den Überresten des linken Turmes ragte, wurde mir bewusst vor einem Symbol für die europäische Situation zu stehen. Aus der Nikolaus- Kathedrale war die Lala-Mustafa-Moschee, genannt nach einem muslimischen Eroberer, geworden. Die Mauern des ehemaligen Schlosses nebenan stehen noch, sein Inneres dient als Parkplatz. In der Nähe eine weitere Kirchenruine, die eine zerbrechliche Schönheit ausstrahlte. Das innerhalb von hundert Jahren zum dritten Mal von der Politik ruinierte Europa hat keine Kraft mehr, sich seinen Eroberern zu widersetzen.
Vera Lengsfeld
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