Mittwoch, 18. November 2015

Linke Toleranz

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MONTAGSDEMO UND GEGENDEMO AM 9. NOVEMBER 2015


Höllenlärm gegen Anspruch der Mitte



Es ist der Abend des 9. November 2015. Vor Halles Ratshof scharen sich freie Menschen um ein orangenes Zelt. Polizei, Zäune und ein breiter Korridor sollen sie schützen vor immer aggressiveren Angriffen gegen ihre „Mahnwache für den Frieden“. 

Ihre Gegner haben weiter aufgerüstet und schicken höllisch laute Musik aus schweren Boxen, die sie auf die friedliche Versammlung – aus ihrer Sicht alles Nazis - gerichtet haben mit Hilfe von Parteien und Vereinen und Strom aus dem Stadthaus.


Die Montagsdemonstranten, wie die Störer sind sie einige Hundert, stehen enger zusammen. So bunt zusammengewürfelt wie hier findet man sie im Alltag nicht. Es sind Menschen mit wechselhaften Lebensläufen und Lebenserfahrung, die kein Vertrauen mehr haben in das politische System, die Regierung, die Europäische Union und die Medien. Sie sagen, was viele im Stillen denken oder mehr oder weniger anonym bei Facebook posten. „Wirr ist das Volk“ macht sich derweil „Die Partei“, die wie Linkspartei, SPD und Grüne im „linken“ Block steht, über den Ruf „Wir sind das Volk“ aus den Reihen der Mahnwache lustig.


DIE WELT WIEDER AUF DIE FÜSSE STELLE

Veranstaltungsleiter Frank Geppert weiß von vielen Veranstaltungen quer durch Deutschland und aus zahlreichen Begegnungen und Gesprächen, wie schwierig die Gemengelage ist. Vom Auf und Ab hat er sich bisher nicht entmutigen lassen. 

Heute sagt er: „Genauso wie die Plauener sind wir Demokraten, die jedem zuhören und jeden zu Wort kommen lassen. Anders als sie haben wir aber Gegendemonstranten, echte Antidemokraten. Die Passanten in Halle sehen dann uns, also freie Bürger bunt, fröhlich, mit Friedensfahnen, manchmal singend und tanzend und auf der anderen Seite schwarze Kapuzen, Sonnenbrillen in der Nacht, schreiende und pfeifende Kinder und Studenten aufgehetzt von Parteien und Vereinen.“ 

Er appelliert an seine Zuhörer: „Die Welt steht Kopf und es wird Zeit, dass wir sie wieder gemeinsam auf die Füße stellen!“ 26 Jahre nach dem Mauerfall bestehe die Mauer in den Köpfen immer noch. „Es gibt mehr Nato-Propaganda und Kalte-Kriegs-Rhetorik als jemals zuvor und im Osten stehen mehr Menschen auf den Straßen, als im Westen.“ 

Geppert lobt das Grundgesetz und spricht die Meinungsfreiheit an. Die gehe soweit, „dass Linkspolitiker in Frankfurt/Oder sogar den Volkstod fordern oder antideutsche Mitglieder der Piratenpartei den Bomber Harris auffordern, Dresden erneut zu bombardieren.“ In Halle erlebe man „Meinungsfaschismus“, wo die Störer des freien Meinungsaustausches, die mit „infantilem Gegröle und Gepfeife“ anträten, nicht sanktioniert würden. „Die Überwachung ist heute schlimmer als zu Stasi-Zeiten“, geht Geppert auf die gerade beschlossene Vorratsdatenspeicherung ein. 

In der Rede geht es auch um die „Heuchelei“ von Medien und Politik: „Die Regierung der BRD unterstützt hemmungslos Faschisten in der Ukraine oder liefert Waffen in Länder wie Saudi Arabien.“ Es werde anti-russisch und pro-us-amerikanisch berichtet. 

Zum Schluss folgt der Appell, das nicht mehr hinzunehmen: „Wir werden uns jetzt ein Herz fassen, uns aufrichten, Gesicht zeigen und Stimme erheben für mehr Ehrlichkeit, Gerechtigkeit und Demokratie, für Mitsprache, Abstimmungen und Subsidiarität.“ Auf seine Versöhnung folgt die Provokation: Sven Liebich spricht.


POLIZEI WARNT PROVOKATEUR

Liebich geht auf Auflagen ein, welche die Polizei an ihn gerichtet hat: Keine Straftaten begehen und keine Namen von Polizisten und Gegendemonstranten nennen. Am Montag zuvor hatte Liebich den Namen eines Mannes genannt, der für den „Antifa“-Pranger Fotos von Teilnehmer der Montagsmahnwache schoss. Auch der Name des Einsatzleiters der Polizei fiel. 

Liebich nennt die Gegendemonstranten Feinde der Demokratie und sagt, „dort werden die neuen Sturmabteilungen gebildet. Diese Leute, das ist die SA von heute, da drüben.“ Die seien dafür, dass Schaufensterscheiben zerstört werden und Autos brennen. 

Bei der Montagsdemo stehe auch werktätiges Volk, auf der Gegenseite aber stünden alle Steuerfinanzierten: Studenten, „Vereinsmafia“ und Parteien. Die würden um ihre Zukunft zittern, „weil wir immer mehr werden“. Liebich ist überzeugt: „Eines Tages wird dieses System kippen.“ 1989 sei eine unvollendete Wende gewesen, sonst gäbe es keine IM „Notar“ , „Erika“ oder „Larve“ im Bundestag. Vertreter des Systems wie der Stadtratsvorsitzende Hendrik Lange müssen weg, schließt Liebich seine Wutrede unter lautem Beifall. 

Er erklärt an diesem Abend auch, dass er Hetze nicht mag. Doch unter seinen Zuhörern sind Menschen, die bei seinen Auftritten gemischte Gefühle haben. Nicht zuletzt wegen seines Facebook-Accounts zu seiner Internetseite halle-leaks.de kassiert Liebich immer wieder Kritik, dass er eben doch zu den Anheizern gehört. Aus dem Lager seiner Gegner bekommt er freilich ohnehin die volle Breitseite, etwa auf der von „Linken“ gefakten Facebook-Seite „Brigade Halle/Saale“. Dort heißt es: „Wir haben uns geirrt. ‪#‎lügenzwän ist ja wirklich nicht mehr braun. Er riecht nur noch scheiße.“ 

An diesem Montag fahren sie ihm sofort in die Parade. Denn gleich nach der Rede stürmt der Polizeichef heran, weil Liebich ihn angeblich als Führer der neuen SS bezeichnet hat. Es gibt genug Zeugen und eine Videoaufzeichnung, die das Gegenteil belegen. Selbst Liebich-Kritiker verteidigen nun den Provokateur und handeln in dem Moment frei nach Evelyn Beatrice Hall, die in ihrem 1906 veröffentlichtem Voltaire-Buch „The Friends of Voltaire“ schrieb: „Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen.“


Der ständige Kampf mit den verschiedenen Meinungen, Strömungen und Fronten schlaucht. Das ist Geppert, zumindest optisch kein Mann aus Watten, heute wieder anzusehen. Er, der zuletzt auch in Plauen zu den Rednern von „Wir sind Deutschland“ (WsD) gehörte, hat feuchte Augen, so sehr arbeitet es in ihm, dass er mit seiner Gebetsmühle, die Mitte der Gesellschaft formieren und die Menschen im Guten über alle Partei- und Ideologiegrenzen hinweg verbinden zu wollen, nicht durchkommt bei den lärmenden Gegendemonstranten und inzwischen auch beim Einsatzleiter der Polizei. 

Am Folgetag wird er auf Facebook klagen: „Wahnsinnige Hetzjagden auf Menschen wurden gestern von den ‚Gegendemonstranten’ ausgelöst. Das ist purer Faschismus.“ Er verteidigt, wofür er seit anderthalb Jahren jeden Montag nach Halle fährt, Zeit und Geld opfert, woran er glaubt, doch wie er später gegenüber Hallelife sagen wird, hat er Zweifel, ob er so weitermachen kann. 

„Ich hätte lieber ein seriöses Projekt wie WsD in Plauen.“ Dass Leute von der „Brigade Halle“ (tatsächlich Vertreter der rechten Szene) bei ihm stehen, gefällt ihm nicht wirklich. Die Reichsbürger, das sagt er ganz offen, hält er nicht für anschlussfähig. Er hat aber auch unter anderem in Leipzig und Berlin die Sprengkraft von Ausschlussregeln und Lagerbildung innerhalb der neuen „Friedensbewegung“ gesehen. Er will Halle halten und glaubt, dass er die Richtung noch steuert: „Doch was passiert mit Halle, wenn ich da raus bin? Dann driftet es vielleicht wirklich ab.“


Im Störfeuer der Gegner spricht Don Donatus einmal mehr in Gestus, Rhetorik und Kleidung wie ein Prediger vom gemeinsamen Weg, von den Defiziten der Gesellschaft, vom Wandel und vom Kampf um die Freiheit. Weitere Redner sprechen von Demokratie und Mauerfall an Deutschlands Schicksalstag, dem 9. November, an dem die Gegendemonstranten die Pogrome 1938 gegen die Juden betonen und sich den vermeintlichen neuen Brandstiftern gegenüber sehen.


Zu einer scheinbar brenzligen Situation kommt es, als alle Teilnehmer der Mahnwache der Ansage eines Sprechers folgen auf ihre Gegner zugehen, bis an den Zaun der Bannmeile gehen, dort minutenlang verharren und Auge in Auge Menschen gegenüberstehen, die aus ihrer Feindschaft und Verachtung keinen Hehl machen.


ANGST AUF BEIDEN SEITEN

Die Mahnwache geht zu Ende, doch die Polizei, die in den vergangenen Wochen wenig kooperativ war und eben noch Sven Liebich vom Platz mitnehmen wollte, bittet nun Frank Geppert, die Mahnwache noch etwas zu verlängern, um den Blockadering um die Kundgebung unter Kontrolle zu bringen. 

Geppert und seine Mitstreiter reden also weiter, auch wenn jetzt die ersten gehen. Unter denen, die noch warten sind nicht wenige, die sorgenvoll an den Heimweg denken. Denn in den vergangenen Wochen wurden einige Leute der Mahnwache attackiert. 

Diesmal, das hat sich im Laufe der Versammlung herumgesprochen, haben sich schon seit Beginn der Veranstaltung rings um die An- und Abmarschwege Gegner in größeren Gruppen aufgestellt, an der Hauptpost zum Beispiel. Als die Kundgebung dann offiziell zu Ende ist und sich der Platz vor dem Ratshof leert, ist von der Gegenseite die Durchsage zu vernehmen, die „Nazis“ seien nun in der Märkerstraße. Es klingt wie eine Regieanweisung, doch Angst vor den Anderen, erfährt Hallelife später, ist auch dort ein Thema.


Organisatoren der Gegendemo trafen sich indes am Dienstagabend zum „Plenum NoHalgida“, um ihr „Bündnis vorzustellen und gemeinsam Strategien für die Zukunft entwickeln“. Als Ziel der Veranstaltung gaben sie an, sich dem „wachsenden Rassismus und einem drohenden Halgida“ entgegenstellen zu wollen.





Am 16. November 2015, 18 Uhr, geht es in eine neue Runde.

„Wir sind Deutschland“ in Plauen (Sachsen)
Wir sind Deutschland - Willkommen
Herzlich Willkommen Wir sind Deutschland - nur gemeinsam sind wir stark e.V. eine parteifreie Bürgerinitiative aus Plauen. Hoffnung, etwas ändern zu können





Hallelife

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