Quentin Quencher 15.11.2015 14:00
Meine zwei Versuche die AfD zu erkunden
Wenn Wahlen ihre Schatten vorauswerfen, schaue ich mir gerne die lokale Basis von Parteien näher an, besuche Stammtische, Wahlkampfstände oder andere öffentliche Veranstaltungen. SPD, CDU, Grüne. Manchmal werde ich auch eingeladen. Bislang allerdings nur von der FDP und der AfD. Ich will wissen, welche Fragen den Menschen und den Anhängern der Parteien so unter den Nägeln brennen, was unter ihnen möglicherweise kontrovers diskutiert wird, in welche politische Richtungen sich die potentielle Wählerschaft bewegt. Das wird aber immer schwieriger.
„Nein, die Absage hat ganz sicher nichts mit der AfD zu tun, nur dulde ich generell keine politischen Veranstaltungen in meinem Lokal.“ Dies erklärt mir der Wirt eines Esslinger Restaurants, der eine Reservierung kurzfristig abgesagt hatte, als er mitbekam, dass Mitglieder der AfD einen Tisch bestellt hatten. Ich hatte ihn per Email um Auskunft gebeten.
Der Hintergrund: Es sollte ein Wahlkreisveranstaltung der AfD zur Wahl eines Wahlkreiskandidaten stattfinden, ein Tisch wurde dafür in dem Lokal reserviert, aber nicht mitgeteilt zu welchen Anlass. Das passte dem Wirt nicht und er beförderte die Gäste wiedervor die Tür. Als ich ankam - ich hatte mich als Beobachter angemeldet - waren sie alle schon wieder draußen. Nicht viele Personen, vielleicht sechs oder sieben Männer. Mehr Achselzucken als Empörung bei den Hinausgeworfenen.
Ob der Wirt, als er kurzerhand die Versammlung in seinem Lokal untersagte, rechtens gehandelt hat, kann ich nicht beurteilen. Seinen Versicherungen, dass er generell keine politische Veranstaltung in seiner Gaststätte dulde, glaube ich nur bedingt. Vielleicht hat er auch Angst vor schlechter Presse oder befürchtet Auseinandersetzungen mit Gegnern der AfD, die seine Gäste in Gefahr bringen könnten. Mutmaßungen zugegeben.
Dass der Mann sich nicht umsonst Sorgen macht, zeigt jedenfalls die nächste Veranstaltung in Wendlingen am Neckar, die ich aufsuchte. Das ist eine typische schwäbische Kleinstadt, etwa fünfzehntausend Einwohner. Ich erwartete eigentlich nichts Aufregendes. Die meisten kennen den Namen nur aus den Verkehrsnachrichten, wenn auf der A8 mal wieder ein Stau gemeldet wird.
Als Redner ist Marc Jongen, /https://de.wikipedia.org/wiki/Marc_Jongen) Philosoph und Stellvertretender Sprecher der AfD in Baden-Württemberg, angekündigt. Jongen ist mir schon länger ein Begriff - und zwar aus einer von ihm geleiteten Diskussion mit den Philosophen Groys und Hösle, in der es um die Aspekte Vernunft und Macht ging. Das ist aber schon eine Weile her. In Wendlingen sollte es um Flüchtlingsfragen gehen, das ist nun mal das alles überschattende Thema. Es hat der AfD, die doch intern immer noch an der Trennung mit Bernd Lucke leidet, wieder Zulauf beschert.
Als ich mit meinem Motoroller auf den Marktplatz einbiege, ist zu erkennen, dass der Abend nicht langweilig werden wird. Ein paar Dutzend Leute stehen mit Plakaten und Transparenten herum, vereinzelt sind Sprechchöre zu vernehmen, immer irgendwas mit Nazi und 1933.
Offensichtlich fürchtet sich die versammelte örtliche Antifa vor der Machtergeifung durch die Rede eines Philosophen. Ganz große Empörung auf der Strasse. Drei Jungs, na ja, junge Männer, und eine Frau kreuzen meinen Weg. Sie schreien ihre Parolen heraus. Es ist allerdings niemand in Hörweite, den sie überzeugen könnten, nur ein paar Gleichgesinnte.
Mann schreit, Frau auch. Die Köpfe errötet vor gerechtem Eifer. Sie sind offensichtlich überzeugt, mit diesem Auftritt den Untergang der Zivilisation abwenden zu können. Als einer der drei jungen Männer das »ich« wie »isch« rausbrüllt, muss ich lächeln. Er verstummt kurz, schämt sich für irgendwas. Die Demo der Provinz-Antifa ist nicht angemeldet, wie später auch der Polizeibericht bestätigt. Offensichtlich nutzen sie eine Veranstaltung mit Friedensgebet, zu dem die IG Metall und die Grünen, sowie ein »Wendlinger Kirchenbündnis« aufgerufen hatten, als Aufmarschbasis. Aggression liegt in der Luft. Die Polizei scheint eher auf eine Deeskalationsstrategie zu vertrauen. Sie geht auch nicht gegen die Antifa-Leute vor als Besucher beleidigt und bedrängt werden.
Der Eingang zum Saal ist bereits durch Polizisten abgesperrt. Es sei überfüllt, man könne niemand mehr einlassen. Ich komme nach Diskussionen dann aber doch noch rein. Sitzplätze gibt es zwar keine mehr, dafür ist es im Stehen leichter, das Publikum in Augenschein zu nehmen. Mir fällt auf, dass verhältnismäßig viele Frauen dabei sind, vielleicht ein Drittel, mindestens aber ein Viertel der Anwesenden.
Marc Jongen ist kein mitreißender Redner. Zur Flüchtlingsproblematik sind es eher nachdenkliche und leisen Töne. Jongen sagt, dass zwar alle über eine Leitkultur sprechen, diese Debatte aber nicht ernsthaft geführt wird. Dann wird er unterbrochen, es tritt ein Sprecher des Kreisverbandes ans Mikro und macht folgende Durchsage: „Die Polizei sieht sich nicht mehr in Lage die Sicherheit der Menschen beim verlassen des Saales zu gewährleisten!“ Er bittet die Teilnehmer in kleinen Gruppen zu je maximal fünf Personen, über den Hinterausgang das Gebäude zu verlassen. Dort wäre ein Weg abgesichert, so dass keiner in die Gefahr komme, in die Arme der Antifa zu laufen. Es hätte schon erste Übergriffe gegeben.
In der Pressemitteilung der Polizei liest das sich später so:
„Während der AfD-Veranstaltung kam es gegen 20 Uhr zwischen Veranstaltungsteilnehmern, die nicht mehr in den Saal gelangen konnten, und den Gegendemonstranten zu gegenseitigen verbalen Provokationen. Diese mündeten in tätliche Übergriffe, auch gegen Polizeibeamte, die in einem Fall den Schlagstock einsetzen mussten. Ein Polizeibeamter wurde mit einer Fahnenstange auf den Kopf geschlagen, blieb aber unverletzt. Mehreren Personen, die durch wiederholte Provokationen auffielen, wurden Platzverweise erteilt. Am Ende der Veranstaltung wurden Teilnehmer nach Verlassen des Saales von Gegendemonstranten beschimpft. Um weitere Übergriffe zu verhindern, erfolgte die weitere Abreise der Veranstaltungsteilnehmer teilweise unter Aufsicht der Polizei, wobei es zu keinen weiteren Vorkommnissen mehr kam.“
In kleinen Gruppen, heimlich über den Hinterausgang, werden die Besucher vom Ort des Geschehens geleitet. Ihnen wird noch mitgeteilt, in welche Richtung sie laufen dürfen, und in welche nicht, weil es dort nicht sicher sei. Es ist die völlige Kapitulation des Rechtsstaates vor gewaltbereiten Krawallhorden.
Damit ist die Veranstaltung gelaufen, zwar spricht Marc Jongen noch weiter, etwa die Hälfte des Publikums bleibt, will sich derartiger Anarchie nicht beugen. Doch insgesamt ist die Stimmung gekippt. Es will keine Diskussion mehr aufkommen, noch drei Wortmeldungen, dann ist Schluß.
Die Lokalpresse berichtete überaus einseitig, den Vogel schießt die Eßlinger Zeitung ab, die schreibt:
„Polizeibeamte haben den Konflikt zwischen Teilnehmern und Gegendemonstranten geschlichtet.”
Was einen Leser der Zeitung zu der dankenswerterweise auch veröffentlichten Meinungsäußerung bewegte:
„Es handelte sich bei den sogenannten Demonstranten (in Wahrheit Proleten) nicht um fünfzig Personen, sondern um mehrere hundert Personen. Darunter auch ein türkischer Motorradclub aus Esslingen. Nachdem die Veranstaltung eine Stunde angedauert hat, wurde von der Polizei die Parole ausgegeben in Gruppen von fünf Personen den Veranstaltungsort durch die Hintertür der Stadthalle zu verlassen. Die Polizei würden den Hinterausgang sichern. weil vorn, auf Vorplatz des Treffpunkts Stadtmitte von den sogenannten Demonstranten Jagd auf Veranstaltungsbesucher gemachten werden würde. Als die Besucher auf diesem Weg den Veranstaltungsort verließen, standen dort VIERZIG Polizisten um die Besucher vor Gewaltausbrüchen der “Demonstranten” zu schützen. Es wurden jetzt viele Rufe laut des Inhalts, dass es wieder so soweit wäre in Deutschland, dass eine offiziell genehmigte Veranstaltung durch Gewalt verhindert werden soll. Siehe hierzu die jüngste Deutsche Geschichte. ...“
Ich hätte mich gerne noch ein wenig mit Marc Jongen oder auch mit andern Anwesenden unterhalten, einfach um mir ein eigenes Bild von dieser AfD und ihren Wählern zu machen. Dazu muss man ran an die Menschen. Nun sind beide meiner Versuche gescheitert: Der erste wegen eines Gastwirtes, der Angst um sein Restaurant hat (was ich inzwischen verstehen kann). Der zweite, weil der Staat sich offensichtlich nicht mehr in Lage sieht, Menschen bei der Ausübung ihrer demokratischen Grundrechte zu schützen.
Das Gegenteil von Demokratie ist nicht Diktatur, wie viele meinen, sondern Anarchie. Wie die sich anfühlt, davon habe ich inzwischen einen Eindruck bekommen. Immerhin auch eine Erkenntnis.
....
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