Wir Zyniker
Wie man den Terror politisch korrekt einordnet, warum einfache Fragen von Übel sind, und wieso wir uns das alles nur einbilden
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel
30.07.16
Wann ist jemand eigentlich ein „verwirrter
Einzeltäter“ oder „traumatisiert“ oder einfach nur „kriminell“, und wann
dagegen lässt seine Untat auf den üblen Charakter einer Weltanschuung und ihrer
Anhänger schließen? Das ist das Rätsel, das momentan das Land aufwühlt. Eine
Legion von Experten wägt diese Frage hin und her, dabei ist die Antwort ganz
einfach: Es hängt allein davon ab, welche Weltanschauung dem Täter zugeordnet
werden kann.
Der Mann, der die heutige Kölner Oberbürgermeisterin
totstechen wollte, konnte als irgendwie „rechts“ identifiziert werden. Deshalb,
nur deshalb, war er kein verwirrter Einzeltäter, sondern wurde sozusagen als
bewaffneter Arm von Pegida, AfD und Konsorten veranschlagt.
Beim norwegischen Massenmörder Breivik fand sich ein
Zettelkasten mit 1500 Blättern voller Texte von allen möglichen Leuten zu allen
erdenklichen Themen. Jeder Autor, der in dem wirren Konvolut aufgestöbert
werden konnte, wurde - gewissermaßen von hinten durch die Brust ins Auge - von
gewissen Kreisen wie ein „Stichwortgeber“ des Monsters behandelt, was nicht
weit entfernt ist von der Verurteilung als „geistiger Brandstifter“.
Die Täter von Nizza, Würzburg und Ansbach waren
dagegen islamisch motiviert. Daher verbietet sich jeder Verdacht auf
weltanschauliche, in diesem Falle religiöse Hintergründe. Wer dennoch danach
sucht, ist ein Hetzer.
Beim Münchener Massaker war die Motivlage des Mörders zunächst nicht ganz klar, was für Verunsicherung sorgte. Wer einen religiösen Antrieb bei dem Deutsch-Iraner befürchtete, den brachten die verantwortungsvollen Stimmen im Lande schnell zum Schweigen: Wer diese Vermutung äußere, der schlachte die Tat skrupellos aus. Schon wegen seiner Herkunft und seiner Religion konnte es sich bei dem 18-Jährigen um nichts anderes handeln als einen verwirrten Einzeltäter.
Dann jedoch fiel die Aufmerksamkeit auf das kurze Wortgefecht, das der Amokläufer vom Dach eines Parkhauses aus mit einem aufgebrachten Bürger führte. Was hatte er da gesagt? „Ich bin Deutscher!“ Daraus ließ sich doch etwas machen, schloss Julia Schramm von der Amadeu Antonio Stiftung blitzgescheit und fragte auf „Twitter“: „Was muss eigentlich passieren, damit rechtsmotivierte Morde nicht mehr als ,Drama‘, als ,Amok‘, als ,Einzelfall‘ verharmlost werden?“
Treffer! Wenn (was nach dem Stand der Ermittlungen nicht zu erwarten steht) im Nachlass des Schlächters doch noch etwas gefunden werden sollte, was auf eine radikal-islamische Gesinnung schließen ließe, können wir ja immer noch zum „psychisch kranken Einzeltäter ohne politische oder religiöse Motive“ zurückkehren. Da sind wir ganz flexibel.
Zunächst aber zurück zu den Hetzern. Das sind die „mit den einfachen Antworten“, belehrt man uns. Noch übler als einfache Antworten erscheinen uns einfache Fragen, wie sie der polnische Außenminister Witold Waszczykowski stellt. Der Lümmel von der Weichsel erwartet von den deutschen Politikern, dass sie ihm bitteschön erklären, wie es zu den Anschlägen überhaupt kommen konnte, denn, so zitiert ihn die „Welt“: „Uns wurde versichert, dass die Aufnahme so vieler Flüchtlinge in Europa keine Probleme verursacht.“ Stimmt, uns haben sie das auch versichert.
Es ist dann etwas anders gekommen, was die Politiker vor eine „neue Lage“ stellt, die angeblich niemand habe vorhersehen können. Ausgenommen natürlich die Hetzer, die schon vor Jahresfrist auf die Gefahr hinwiesen, dass mit den unkontrolliert hereinströmenden Asylsuchern auch Terroristen einreisen könnten. Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen tat das als großen Blödsinn ab, und der musste es ja wissen. Ebenso sah es der Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), Gerhard Schindler. Wobei „sah“ vielleicht das falsche Wort ist, denn „gesehen“ haben beide Herren offenbar nicht sehr viel.
Oder doch? Als die Geheimdienst-Bosse wegen der
Attentate von Paris im November splitternackt im Wind standen, weil dort
mindestens drei als „Flüchtlinge“ eingereiste Mörder beteiligt waren, mutmaßte
der „Tagesspiegel“, möglicherweise seien „die Einschätzungen (Maaßens und
Schindlers) gewissermaßen pädagogisch zu interpretieren: Aus der Wahrheit
könnten die falschen Schlüsse gezogen, einem Ende der Willkommenskultur das
Wort geredet werden.“
Sie haben uns zwar belogen, soll das heißen, dies aber
nur mit den fabelhaftesten Absichten. Dem blöden Bürger darf man nicht die
Wahrheit sagen, wenn er dadurch die Regierungslinie verlassen und zu den
Hetzern überlaufen könnte. Zu jenen finsteren Gestalten also, welche Fragen
stellen, Antworten verlangen und auf Widersprüche hinweisen.
CDU-Generalsekretär Peter Tauber frohlockt inmitten
fast täglich neuer Terrornachrichten laut „ntv“, Merkels „Wir schaffen das“ sei
aus seiner Sicht „teilweise Wirklichkeit“ geworden, denn „die, die zu uns
kommen, zu versorgen, ihnen ein Dach über dem Kopf zu geben, ihnen etwas zu
essen zu geben, das haben wir geschafft“.
Ihnen gehen auch gerade ein paar sehr derbe
Kraftausdrücke durch den Kopf? Gut, die behalten wir aber schön für uns, ebenso
wie die Frage, ob Herr Tauber und die Seinen eigentlich wissen, wem sie da ein
„Dach über dem Kopf“ gegeben haben. Das wissen sie nämlich nicht, weshalb die
Frage unhöflich und hetzerisch wäre.
Der Würzburger Axtschwinger war nur einmal polizeilich
kontrolliert worden, und das in Ungarn. Die deutschen Behörden haben die wahre
Identität des jungen Mannes, dessen Aufnahme und „Integration“ in wenigen
Monaten fast 50000 Euro verschlungen haben soll, nie überprüft. Da können wir
schon verstehen, wenn sich die obersten Geheimdienstler um das
„Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung“ sorgen und uns daher mit frommen Märchen
hinters Licht führen.
Ganz fürchterlich sind jene Leute, die angesichts der
Blutspur trocken feststellen, dass eine ganze Menge Menschen noch am Leben sein
könnte, wenn unsere Politiker statt euphorisch „Wir schaffen das“ zu rufen
unsere Grenzen korrekt hätten schützen lassen. So etwas zu sagen sei „zynisch“,
werden wir belehrt.
Und außerdem völlig realitätsfern, wie uns Merkels
Regierungssprecherin Ulrike Demmer gerade versichert hat. Denn, so Demmer laut
„Frankfurter Rundschau“, die meisten Anschläge der vergangenen Monate
seien nicht von Flüchtlingen verübt worden. Die Gefahr, die von Schutzsuchenden
ausgehe, sei nicht größer als die von anderen in Deutschland lebenden Menschen.
Endlich, das ist die Erlösung aus diesem blutigen
Albtraum. In Wirklichkeit passiert gar nichts Besonderes! Die plötzliche
Häufung bestialischer Terror-Akte haben wir uns bloß eingebildet, denn wenn von
den orientalischen Neuankömmlingen eine um keinen Deut größere Gefahr ausgeht
als vom Durchschnittsdeutschen, der hier schon immer lebt, dann kann es ja auch
unmöglich eine plötzliche Terror-Welle geben.
Oder es gibt sie doch, aber dann haben es die
Durchschnittsdeutschen eben nur versäumt, ihren statistisch angemessenen Anteil
an willkürlichen Metzeleien beizusteuern, was wiederum rein gar nichts über
ihre wahre Gefährlichkeit aussagt.
Ich weiß, das ist jetzt wirklich zynisch. Aber ist es
nicht herzzerreißend, welche abenteuerlichen Pirouetten diese Leute drehen, um
jeder realistischen Ursachenforschung aus dem Weg zu tanzen?
Gerade kommt die Nachricht rein von dem alten
Priester, dem sie in seiner Dorfkirche bei Rouen die Kehle durchgeschnitten
haben. Warten wir ab, welche „anderen dort lebenden Menschen“ das wohl getan
haben.
Ja, man wird zynisch. Aber irgendwann läuft jedes Fass einmal über.
Ja, man wird zynisch. Aber irgendwann läuft jedes Fass einmal über.
Preussische Allgemeine
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