Montag, 25. Juli 2016

Beschwerden über Bikinis und Bier

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Laubenpieper wehren sich

Rassismus-Vorwurf zurückgewiesen – zunehmend Reibereien mit türkischen Nachbarn

24.07.16

Zwei türkische Familien wollen in einer Berliner Kleingartenkolonie Parzellen mieten, doch sie werden abgewiesen. Schnell ist von Ausgrenzung und sogar Rassismus die Rede. Bei genauerem Hinsehen ergibt sich allerdings ein etwas anderes Bild.

Öffentlich geworden sind die Vorwürfe gegen die Kleingartenkolonie „Frieden“ in Berlin-Tempelhof durch den Türkischen Bund Berlin-Brandenburg (TBB). Nach dessen Darstellung  sollen die Gespräche zweier Parzellen-Bewerber mit dem Kleingartenverein zunächst gut angelaufen sein, dann habe es nach ein paar Monaten plötzlich eine Absage gegeben. Der Verein habe als Begründung den türkischen Migrationshintergrund der Antragsteller angegeben, der das soziale Gefüge in der Kolonie störe.

„Das sind natürlich eindeutig rassistische Kriterien. Also es geht nicht um die Staatsbürgerschaft, es geht nicht darum, wie lange sie (die Familie) schon hier ist, oder wie gut sie integriert ist, sondern es geht um rassistische Merkmale“, so Kerstin Kühn vom TBB. Nachdem auch noch bundesweit die Medien auf den Vorgang aufmerksam geworden waren, ließen die entsprechenden Schlagzeilen nicht lange auf sich warten. 

Der vorherrschende Ton dabei: Pächter mit Migrationshintergrund seien bei den Kleingärtnern generell unerwünscht. Davon kann allerdings keine Rede sein. Der Anteil Nicht-Deutscher in der kritisierten Gartenkolonie liegt sogar deutlich über dem Berliner Bevölkerungsdurchschnitt. So gibt das Statistikamt für das Jahr 2015 an, dass  14,3 Prozent der Bevölkerung Berlins keine deutsche Staatsangehörigkeit gehabt haben. In der  Tempelhofer Gartenkolonie liegt der Ausländeranteil nach Angaben des Vereinsvorsitzenden dagegen bei 25 Prozent. 

Mit anderen Worten: Von Abschottung oder Deutschtümelei kann nicht die Rede sein. Im Gegenteil, die Laubenpieper haben Offenheit gezeigt; damit aber ganz offensichtlich nicht nur gute Erfahrungen gesammelt. 

Viele deutsche Pächter hätten das Gefühl, dass es gerade mit den türkischen Nachbarn immer mehr Reibungspunkte gebe, berichtete der Vorsitzende des Kleingartenvereins, Helmut Matthes, gegenüber dem Deutschlandfunk. „Sonntagmittag wird Rasen gemäht, und als er daraufhin vom Nachbarn angesprochen wird, da sagt er, was geht mich euer Feiertag an, interessiert mich nicht, wir haben unsere eigenen Feiertage. So etwas können wir in einer Gemeinschaft, in einem Verein nicht gebrauchen.“ 

Vom Bezirksverband der Kleingärtner Tempelhof heißt es zudem, nichtdeutsche Bewohner hätten sich über „deutsche Nachbarinnen im Bikini und biertrinkende Väter“ beschwert. Mit dem Gefühl von Rückenwind durch Medien und Politiker ausgestattet könnte die Bereitschaft solcher Parzellenpächter, Regeln zu akzeptieren und Toleranz gegenüber einheimischen Sitten zu zeigen, vollends gegen Null tendieren. 

Problematisch ist die Kritik an dem Kleingartenverein allerdings noch aus einem anderen Grund: Um eine ausgewogene soziale Mischung zu erhalten, haben sich in der Vergangenheit nämlich viele solcher Vereine durchaus das Recht vorbehalten, Bewerber unterschiedlich zu behandeln. 

Genau diese Praxis einer „sozialen Mischung“ ist seit Jahrzehnten auch im Wohnungs- und Städtebau, vor allem aber in der Bildungspolitik gesellschaftlich akzeptiertes Ziel. Unter dem Vorzeichen einer Anti-Diskriminierungspolitik könnte der Ansatz einer sozial ausgewogenen Mischung nicht nur im Fall der Kleingartenanlagen schleichend aufgegeben werden. 

Und noch aus einem anderen Grund könnten sich einige Politiker mit ihrer pauschalisierenden Kritik an der Tempelhofer Kleingartenanlage keinen Gefallen getan haben. Schon jetzt baut sich nämlich in vielen Berliner Gartenkolonien immer mehr  Frust gegen die Politik des Senats auf. Vor allem in der Innenstadt bedrohen Wohnungsbaupläne den Bestand einer ganzen Reihe von Anlagen. Bislang sind 83 Prozent der gut 900 Kolonien durch eine Bestandsgarantie gesichert – der Rest ist allerdings nur befristet geschützt. Läuft die Schutzfrist aus, eröffnet sich die Möglichkeit, die Gartenanlagen zu bebauen.
 
Welche Kolonien möglicherweise betroffen sind, wird ein Kleingarten-Entwicklungskonzept festlegen, das noch in diesem Jahr verabschiedet werden soll. Angekündigt ist allerdings, dass sich der Senat vor der  Wahl zum Abgeordnetenhaus am 18. September nicht festlegen will, welche Gartenanlagen einen Bestandsschutz erhalten und welche zu Bauland werden sollen. 

Welche politische Brisanz die Thematik entwickeln kann, wird im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf sichtbar. Dort läuft der Versuch einer Wählergemeinschaft namens „Aktive Bürger“, ins Bezirksparlament zu kommen. Ein Motiv für das politische Engagement sind unter anderem die Erfahrungen rund um die Kleingartenkolonie Oeynhausen. In einem Bürgerentscheid für die Rettung der Kolonie in Schmargendorf hatten sich im Mai 2014 rund 85000 Bürger (77 Prozent der Teilnehmer) für einen Erhalt der Kleingartenanlage ausgesprochen. Am Ende bekam der Investor trotzdem vom Bezirk das Baurecht zugesprochen. Im Februar dieses Jahres rollten schließlich die Bagger an und machten rund die Hälfte der Gartenparzellen dem Erdboden gleich. 
     

 Norman Hanert





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