Donnerstag, 9. Dezember 2010

Donnerstag, 09. Dezember

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Advent = Sehnsucht zurück und nach vorn

Da kommst du nun, du altes zahmes Fest, und willst, an mein einstiges Herz gepresst, getröstet sein. Ich soll dir sagen: du bist immer noch die Seligkeit von einst und ich bin wieder dunkles Kleid und tu die stillen Augen auf, in die du scheinst. Gewiss, gewiss. Doch damals, da ichs war, und du mich schön erschrecktest, wenn die Türen aufsprangen - und dein wunderbar nicht länger zu verhaltendes Verführen sich stürzte über mich wie die Gefahr reißender Freuden: damals selbst, empfand ich damals dich?

Um jeden Gegenstand
nach dem ich griff, war Schein von deinem Scheine, doch plötzlich ward aus ihm und meiner Hand ein neues Ding, das bange, fast gemeine Ding, das besitzen heißt. Und ich erschrak. O wie doch alles, eh ich es berührte, so rein und leicht in meinem Anschaun lag. Und wenn es auch zum Eigentum verführte, noch war es keins. Noch haftete ihm nicht mein Handeln an; mein Missverstehn; mein Wollen es solle etwas sein, was es nicht war. Noch war es klar und klärte mein Gesicht. Noch fiel es nicht, noch kam es nicht ins Rollen, noch war es nicht das Ding, das widerspricht. Da stand ich zögernd vor dem wundervollen Un-Eigentum...

(Rainer Maria Rilke, Weihnachten 1914 Teil I, aus: ders., Die Gedichte, Frankfurt am Main 1993, S. 881f.)

EKD - Adventskalender

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