Man kann Wählern nicht dauerhaft ihre Interessen vorwerfen
von Hans-Martin Esser
Die Volkspartei ist tot. Es lebe die fragmentierte
Bevölkerungspartei. So könnte man die neue Normalität 2016
zusammenfassen, zumindest die politische in Deutschland. Angefangen hat
diese Entwicklung 2013, als nach der Bundestagswahl der Kanzlerin nur 2
Stimmen zur absoluten Mehrheit fehlten – es war nur ein scheinbarer
Erfolg einer Volkspartei (CDU). Da sie ihren bisherigen
Koalitionspartner FDP keineswegs pflegte, war sie auf eine große
Koalition mit den Sozialdemokraten angewiesen. Eine Paarung, in der sie
sich offensichtlich schon 2005-2009 sehr wohlgefühlt hatte.
Die Große Normalität – genannt Bundesrepublik – wurde im Parlament
nur noch vertreten durch sozialdemokratische Parteien, nachdem die
Brüderle-FDP mit 4,8 Prozent und die Lucke-AfD mit 4,7 Prozent den
Einzug in den Bundestag verpasst hatten.
Schon zu Beginn der Legislaturperiode 2014 kam eine massenhafte Menge
von Menschen aus einem anderen Normalitätsrahmen, genannt Arabien;
virulent wurde dies erst später. In den sozialdemokratischen Parteien,
ob sie nun CDU, SPD, Grüne oder Linke hießen, war es verpönt, über
Interessen zu sprechen. Das ist die Crux.
Gemeinwohl wurde skandalisiert
Die große Klammer, die all diese Partei zusammengehalten hatte, war
die Orientierung am Gemeinwohl. Schon die Äußerung es gäbe Interessen,
die nicht deckungsgleich mit Gemeinwohl sind, wurde skandalisiert. Genau
dies geschah. Erst entstand Pegida, eine zusammengeklammerte Gruppe
diffuser Interessen, die sich nicht mehr repräsentiert fanden. Die
Reaktion sowohl der etablierten politischen Parteien als auch die der
meisten Medien war so, dass man erst diese Entwicklungen nicht
wahrhaben, dann lächerlich machen, am Ende skandalisieren wollte.
Zu Verwerfungen kommt es, wenn die Normalität der Bürger und die der
Politiker nicht mehr deckungsgleich ist. In der Klammer, die man
bundesdeutsche Polit-Normalität nennen kann, kam es zu Verformungen. Im
Parlament fehlte eine wirkliche Opposition. Alternativlos ist nicht die
Antwort, die man von einem Kanzler als permanente erwarten soll. Hierzu
kam es dann zu einer weiteren Verformung der Klammer. Wähler haben
Interessen. Punkt.
Versuchen Politiker, ihre Politik zu erklären unter dem Hinweis, die
Sachlage sei komplex, nimmt es ein freigeistiger Bürger bestenfalls als
Belehrung oder Bevormundung, im schlimmeren Fall als Beleidigung,
schlimmstenfalls als Entfremdung. Das Loch, das sowohl Medienvertreter
als auch etablierte Politiker gruben, wurde immer tiefer.
Die SPD ist schon längst keine Volspartei mehr
Mit Wiederauferstehung der AfD im Sommer 2015 als Partei für
Pegida-Sympathisanten brach die Klammer der bisherigen
Parteien-Normalität im Lande endgültig. Was war passiert? Die SPD hat
sowohl mit ihrem Vorsitzenden Gabriel als auch ihrem dauerhaften
Talkshow-Repräsentanten Ralf Stegner keinen Zweifel daran gelassen, dass
es Staatsräson sei, Europa zusammenzuhalten, indem man einer nicht
begrenzten Zahl von Menschen aus einer anderen Normalität auf
unbestimmte Zeit eine Bleibe zu verschaffen habe.
Abgesehen davon haben weder Stegner noch Gabriel ein gewinnendes
Wesen und sind auf ihren Positionen nicht geeignet, einer Partei, die
als Volkspartei einst das linke politische Spektrum des Landes
zusammengeklammert hatte, wieder Leben einzuhauchen. Ralf Stegner ist
sozusagen die Personifikation des Niederganges dieser 152 Jahre alten
Partei, die Interessen einst klug zusammenhielt. Man sehe sich den
Auftritt in der Sendung Anne Will am Wahlabend an.
Die SPD ist in der großen Klammer – genannt Bundesrepublik – längst
keine Volkspartei mehr. Sie ist eine Bevölkerungspartei, also in wenigen
Bundesländern noch eine Klammer, die die diffusen Interessen
zusammenhält, allerdings nicht mehr auf Bundesebene. Malu Dreyer, Olaf
Scholz – das ist es schon. Das Hauptproblem ist grundsätzlich in
sozialdemokratischen Parteien, das gestörte Verhältnis zur
Interessenvertretung. Gemeinwohl klingt immer gut, taugt aber nicht.
Parteien repräsentieren eigentlich genau diese Interessen, nicht das
diffuse Gemeinwohl. Menschen, die dezidiert Interessenvertretung
wünschen, zu belehren oder gar auszustoßen, trägt nicht dazu bei, die
Klammer, genannt Bundesrepublik, zusammenzuhalten. Stegners Anwürfe an
Beatrix von Storch in Anne Will wirken eher hilflos, panisch, er begeht
die Fehler, die er in den vielen Talkshows schon vorher begangen hatte.
Es erregt fast Mitleid, wenn von Storch ihm entgegenlächelt.
Udo di Fabio, renommierter Verfassungsrechtler, sagte auf dem
Neujahrsempfang der FDP, das Land drohe, fragmentiert zu werden. Beatrix
von Storch UND Ralf Stegner personalisieren diesen Trend. Genau das
ist, was mit dem Brechen der großen Klammer, nenne man diese Normalität,
Gemeinwohl oder korporative Identität eines Landes, gemeint ist.
Die Frage der Kosten wurde tabuisiert
Das Leugnen der Realität, dass mit der großen Zahl von aus einem
anderen Normalitätsraum (Arabien) kommenden Menschen, auch erhebliche
Kosten entstehen, sorgt für das Brechen dieser Klammer. Ob es gelingt,
einen Teil dieser Kosten wieder zu erwirtschaften, ist hoch ungewiss.
Kosten zu tabuisieren oder zu verschleiern, verschlimmert das Problem.
Gewiss sind allerdings hohe soziale Kosten, die durch den Clash der
Normalitäten, Huntington nannte ihn Clash der Zivilisationen, entstehen
werden. Ändern sich Normalitäten, entstehen immer Kosten. Parteien
zahlen in der Währung Wählerverlust. Die Wohlhabenden müssen mit
Steuererhöhungen rechnen, mittelfristig zumindest. Die Geringverdiener
mit neuer Konkurrenz am Arbeitsmarkt, die ihre Löhne drückt und die
Mittelschicht fürchtet steigende Kriminalität und längere
Lebensarbeitszeit sowie schmale Renten.
Diese Interessen zu ignorieren, generiert eine neue Partei, so simpel
ist dies. Den Wählern zu erzählen, diese teilweise berechtigten
Bedenken, seien entweder irrational oder herzlos, stärkt nur die AfD.
Dauerndes Talkshow-Bashing und AfD-Aufschwung scheinen gar, in direktem
Zusammenhang zu stehen.
Talkshow-Bashing führt zum Gegenteil
Man kann Wählern nicht dauerhaft ihre Interessen vorhalten, sie
skandalisieren. Es spielt kaum eine Rolle, was die AfD tut oder sagt.
Auch Äußerungen, die kritikwürdig sind, werden ihr nicht schaden, sie
haben ihr nicht geschadet, egal was sie auch sagte. Es ist erschreckend,
wie SPD und CDU meinen, mit verschärfter verbaler Aggression gegenüber
der AfD deren Werte zu senken. Das offenbart einen Mangel an
polit-strategischer Kenntnis.
Wollten sie diese schwächen, müsste man ganz gelassen diskutieren wie
mit jedem anderen und nicht derart verkrampft. Vor allem müsste man die
eigene Politik infrage stellen. Die übrigen Parteien stellen sich
dermaßen ungeschickt an, dass diese Klammer nicht mehr zu reparieren
ist, wie es scheint. Der Bruch mit Teilen der ehemaligen Wähler ist und
bleibt dauerhaft, was der Ungeschicklichkeit der heutigen
Großkoalitionäre zu großen Teilen zuzuschreiben ist.
Die Kanzlerin sowie viele CDU-Wahlkämpfer machen zurzeit einen
verblendeten Eindruck. Man redet sich viel zu viel schön. Nicht die
Wähler müssen sich anpassen, sondern die Politiker. Wenn man eine ganz
große Klammer, nämlich Normalität Europas, zusammenhält, kann man das
auch nicht gegen die Interessen europäischer Staaten tun.
Kein Zusammenhalt ohne Interessenvertretung. Beschimpfung gehört hier
auch zum neuen Ton, als habe man mit störrischen Eseln zu tun. Der
Verweis, man müsse es den anderen nur erklären, zeigt hier die Parallele
zu der Arroganz gegenüber Wählern, die man entweder als kleine Kinder
oder pathologische Fälle ansieht.
Es ist durchaus ein Problem, dass die AfD tun und sagen kann, was sie
will und dennoch massiv zugewinnt. Es zeigt, in welch pathologischem
Zustand vielmehr ehemalige Volksparteien selbst heute sind. Sie sind
nicht mehr in der Lage, Interessen zusammenzuhalten. Vielmehr verleugnet
man überhaupt Wählerinteressen und redet sich im Zweifel mit
irgendetwas komplex Alternativlosem heraus.
Achse des Guten
....
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