Montag, 22. November 2010

Fall Heisig: die Auskunft

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Gerhard Wisnewski

»Der Fall kann Presserechtsgeschichte schreiben«, schrieb die Legal Tribune Online über Gerhard Wisnewskis Durchsetzung seines Auskunftsverlangens im Fall Heisig. Am 11. November 2010 verpflichtete das Oberv
erwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Staatsanwaltschaft Berlin, über die Todesumstände der Ende Juni 2010 verstorbenen Jugendrichterin Kirsten Heisig eine ganze Reihe von Fragen zu beantworten. Hier nun die Antworten im Wortlaut.
Viele Leser haben mich in den vergangenen Monaten gebeten, an dem »Fall Heisig« dranzubleiben und nicht locker zu lassen. Nun, vom ersten Anruf bei der Polizei Berlin Anfang Juli 2010 und den ersten Gesprächen mit Profi-Abwimmlern wie dem Pressesprecher der Staatsanwaltschaft dauerte es glatt viereinhalb Monate, den Auskunftsanspruch durchzusetzen. Viereinhalb Monate voller Ausflüchte, Vertröstungen, Fristen und immer neuer Fristen und schließlich zweier Gerichtsverfahren, von denen das letzte schließlich zu meinen Gunsten ausging. Selbst danach war noch eine Drohung mit Zwangsgeld nötig, um dem Generalstaatsanwalt von Berlin in die Strümpfe zu helfen.
Was heißt »zu meinen Gunsten«? Richtiger wäre natürlich: Das Verfahren ging zu Gunsten der Leser und der Öffentlichkeit aus, die mich letztlich dafür bezahlt, dass ich Informationen beschaffe und aufbereite.

Eifersüchtig gehütetes Herrschaftswissen

Ein bisschen viel Aufwand für eine Auskunft in einem Verfahren, meinen Sie? Wo es noch so viele ungeklärte Fälle gibt? Nicht ganz richtig, denn das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg ist nicht irgendein Urteil, sondern es setzt Maßstäbe im Verhältnis zwischen Ämtern und Journalisten, die jeden Tag zu Tausenden vertröstet und selbstherrlich abgewimmelt werden. Wenn die Leser häufig vergeblich auf bessere Informationen warten, dann liegt das nicht nur an den Journalisten, sondern vor allem auch an den Behörden, die ihr Herrschaftswissen allzu oft eifersüchtig und selbstherrlich hüten, wobei ihnen kein Argument zu fadenscheinig ist, lästige Frager auszubremsen. Dass jeden Tag überall nur derselbe Einheitsbrei zu lesen steht, ist da kein Wunder.
Die in den Landespressegesetzen verbrieften Informationsansprüche der Medien stehen in Wirklichkeit nur auf dem Papier. Im Alltag werden sie von den Behörden locker ausgehebelt. Pressesprecher wissen genau, dass Zeit und Geld für sie arbeiten – denn beides haben Journalisten nun mal nicht. Informationen brauchen sie sofort oder spätestens in wenigen Stunden, dann dreht sich das Medienkarussell schon weiter, und die Behörde (oder auch das Unternehmen) kommt ohne die gewünschte Auskunft davon. Und außer Zeit ist auch kein Geld vorhanden, den gegenüber Behörden bestehenden Informationsanspruch durchzusetzen.

Rechtsfreier Raum zwischen Behörden und Journalisten

Das heißt, in Wirklichkeit besteht im Verhältnis zwischen Journalisten und Behörden ein rechtsfreier Raum, der durch Sachzwänge und Umstände geschaffen wird, die die Behörden weidlich ausnutzen. Vom Gesetzgeber vorgesehene Ausnahmen von der Auskunftspflicht sind schon längst zu Standardausreden mutiert: »Schwebendes Verfahren«, »Persönlichkeitsrechte«, »Datenschutz« sind weitere Wunderwaffen verschwiegener und auskunftsfauler Behörden gegen neugierige Frager. Denn kein Journalist und keine Redaktion haben die Zeit und das Geld, Informationsansprüche bis zum bitteren Ende einzuklagen.
Im Fall Heisig hofft die Staatsanwaltschaft Berlin »insbesondere im Interesse der Angehörigen, dass durch die Veröffentlichung dieser Ermittlungsdetails die Spekulationen jetzt ein Ende finden«, wird deren Pressesprecher Steltner zitiert. Was sich ganz so anhört, als hätte die Staatsanwaltschaft von Anfang an auf die Veröffentlichung gedrängt. In Wirklichkeit ist sie durch ihr Schweigen selbst für jede einzelne Spekulation über den Tod von Kirsten Heisig verantwortlich. Oder wie ich früher schon einmal schrieb: »Verschwörungstheorien« entstehen durch falsche oder unzureichende Informationen von offiziellen Quellen.
Hiermit gebe ich Ihnen also die erkämpften Auskünfte unkommentiert und im Original weiter. Ob damit alle Zweifel am Selbstmord der Richterin ausgeräumt werden, werde ich später diskutieren. Zunächst überlasse ich dieses Urteil Ihnen. Ich würde mich aber über Ihre Kommentare freuen.
Danken möchte ich meinem Rechtsanwalt Dr. Wolfram Hertel, dem Bayerischen Journalistenverband und natürlich dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, an dem drei mutige und unabhängige Richterinnen ein richtungweisendes Urteil gefällt haben. Denn bei aller Justizschelte sollte man nicht vergessen, dass die unabhängige Justiz hierzulande stellenweise immer noch sehr gut funktioniert. Und dafür war schließlich auch Kirsten Heisig ein gutes Beispiel. Immerhin kämpfen wir hier um die Wahrheit über den Tod einer Richterin.
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