Liebe Schwestern, liebe Brüder!
1. Der Tag der Unschuldigen Kinder weitet
heute unseren Blick auf die ganze Welt, in der Kinder Gottes,
Schwestern und Brüder Jesu Christi getötet, bedrängt und verfolgt
werden. Ja, wir werden sagen müssen: Die Christenverfolgung ist die
weltweit am meisten verbreitete Form der Verletzung und der Angriffe auf
die Menschenrechte und – Gott sei es geklagt – die gesellschaftlich in
Deutschland einfach am meisten hingenommene Art und Weise der
Menschenrechtsverletzung. Die Politik in Deutschland lässt weitgehend die verfolgten Christen in aller Welt im Stich.
2. Unser Gott ist ein Gott des Lebens. Und der Mensch, als sein Ebenbild erschaffen, soll leben – hier zeitlich und dort ewig. Und
darum ist das Töten von Menschen ein Widerspruch in sich selbst,
namentlich das Töten von Kindern, von ungeborenen oder geborenen,
aber auch der alt gewordenen Menschen, ist eigentlich ein skandalöser
Aufstand gegen die Schöpfungsordnung. Die grundlegende Überzeugung aller
Völker der Welt geht davon aus, dass der Mensch sich unterscheidet von
der unvernünftigen Kreatur, ja, dass er gott-ebenbildlich erschaffen
ist. Und in der christlichen Offenbarung wurde uns gesagt, dass Gott zu
mehreren ist, nämlich trinitarisch, weil er die Liebe ist. Liebe kann es
nie für sich allein geben. Darum hat er bei der Erschaffung des
Menschen gesagt: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt“ (Gen
2,18). Und so hat er den Menschen zu zweit erschaffen, als Mann und
Frau, und zwar ist dem Menschen dabei der Schöpferwille Gottes
eingestiftet, sodass er sich vollendet, indem Mann und Frau sich in der
Ehe zusammentun und dann zu dritt und zu mehreren werden. Das ist
Schöpfungsordnung Gottes, von keinem Menschen erdacht oder erfunden,
sondern vorgefunden und in sich selbst entdeckt. Und die Kenntnisnahme
davon und die Praxis danach garantieren den Völkern der Welt, garantiert
der Menschheit einen gesegneten Fortbestand. Wo aber dieses
Schöpfungswissen verlorengeht oder verneint wird, dort wird das Ergebnis
sichtbar in sterbenden Völkern, in Verlust von Ehe und Familie, in der
Abwertung des Kindes, namentlich des ungeborenen, aber auch in der
Abwertung des sterbenden Menschen.
Wenn wir heute das Fest der Unschuldigen
Kinder feiern, dann müssen wir eigentlich den Begriff der Kinder
erweitern auf die unschuldigen armen und alten Leute, über die einfach
verfügt wird. Uns ist es aufgetragen, im Glauben an den lebendigen Gott
für seine Menschen in der zu ihren Gunsten von Gott festgelegten
Lebensform einzustehen, sei es gelegen oder ungelegen. Wir
sollen und dürfen nicht zuerst auf politisch korrektes Verhalten und
Reden achten, sondern auf gottgemäßes politisches Denken, Reden und
Handeln. Das war wohl nie so selbstverständlich. Der Sinai, der
Berg der Gebote Gottes, wurde nicht immer – zum Schaden der Menschen
und der Völker – als Mittelpunkt in der menschlichen Gebirgslandschaft
erachtet.
3. Alle Versuche in der Geschichte
entsprechend bestimmter politischer Systeme, die Ehe und Familie zu
relativieren und ihr ihren schöpfungsgemäßen Platz im gesellschaftlichen
Leben streitig zu machen, gingen immer zu Lasten des Menschen aus. Die
Schöpfungsordnung Gottes kann weder durch Parlamentsbeschlüsse außer
Kraft gesetzt, noch eingesetzt werden. Sie gilt unabhängig von
Parlamenten. Deswegen braucht jeder Mensch zu seinem Dasein oder
zu seinem Sosein Vater und Mutter. Das sind Tatsachen, die nicht
bewiesen zu werden brauchen. Die Schöpfungsordnung, die wir
auch Naturrecht nennen, ist nicht das Ergebnis einer gesellschaftlichen
Dressur, sondern in die Natur des Menschen hineingelegte Richtigkeit für
seine Existenz. Darum ist die Familie von gar nicht hoch genug
zu schätzender Bedeutung und Wichtigkeit für den Menschen als
Individuum, aber auch für ein Volk. Die Überalterung unseres deutschen
Volkes ist ja kein Naturereignis, sondern sie ist begründet in der
verkehrten Auffassung von Ehe und Familie. Ich kenne noch aus
meiner DDR-Zeit eine Familie mit sieben Kindern. Die Mutter ist 20 Jahre
lang zu Hause geblieben, um für diese sieben Kinder zu sorgen, die alle
wieder ihrerseits Familien haben und positive Figuren in unserer
Gesellschaft sind. Diese Mutter bekommt für 20 Jahr Sorge um sieben
Kinder 170 Euro Rente. Und als Frauen aus der CDU sich unlängst
bemühten, diesen verdienten Müttern ihre Alterszulage zu erhöhen, sagte
der Finanzminister kühl und knapp: „Wir haben dafür kein Geld“. Aber
ich habe nicht gehört, dass der Finanzminister dagegen Einspruch
erhoben hat, dass Bataillone der Bundeswehr in die Türkei abkommandiert
sind, um dort die türkisch-syrische Grenze zu sichern. Wo leben wir
denn? Ist die Verwirrung überhaupt noch zu übertreffen!
Bei seiner Rede vor dem Deutschen
Bundestag betonte der Papst, der Schutz der Natur, der Artenschutz ist
eine hochwichtige Aufgabe einer Gesellschaft. Aber der Mensch hat auch
eine Natur, die behütet und geschützt werden muss. Ihre Konstanten
werden im so genannten Naturrecht deutlich. Wer Gott, dem Schöpfer,
verpflichtet ist, ist auch der Schöpfung und den Geschöpfen, namentlich
dem Geschöpf Mensch verpflichtet. Schon etliche Male habe ich das
berühmte Wort von Romano Guardini zitiert, das ich von ihm selbst beim
Berliner Katholikentag 1952 gehört habe. Er fand unter dem Thema: „Gott
lebt“ statt. Er sprach es in der Ostberliner Marienkirche, gleichsam in
Hörweite von Walter Ulbricht: „Nur wer Gott kennt, der kennt den
Menschen“. Um den Menschen kennen, schätzen und lieben zu lernen,
braucht man die Kenntnis Gottes. Wo eine Gesellschaft
konstruiert wird, in der Gott gar nicht mehr vorkommt, kann das nur zu
Lasten des Menschen gehen. Dort werden Verhältnisse geschaffen, in denen
der Mensch auch nicht mehr vorkommt. Unsere Gesellschaft ist
auf dem Weg dazu. Wir haben das bereits in den letzten achtzig Jahren
zweimal erlebt. Ich war als Leidtragender dabei.
Der Mensch ist kein Gott, aber er ist
göttlichen Ursprungs. Er behält seine Würde, wenn er seiner Herkunft
eingedenk bleibt, und er bleibt seiner Verantwortung gewiss, die ihm als
Mitgeschöpf und als Mitmensch auferlegt ist und mit der er gesegnet
ist, wenn er dem Willen des Schöpfers verbunden bleibt. Darum erheben
wir zum Fest der Unschuldigen Kinder unsere Stimme, nicht um anzuklagen
und zu verletzten, sondern um die Schöpfungsordnung zu schützen, zu
hegen und zu pflegen; damit dem Menschen Verhältnisse garantiert
bleiben, in denen er sich voll entfalten kann. Wir wissen uns darin Gott
verpflichtet. Wir werden eines Tages nach unserem irdischen Tod von
Gott gefragt werden: „Wo ist dein Bruder Abel?“ (Gen 4,9), wie am
Schöpfungsmorgen „und wo ist deine Schwester?“ Und seit Jesus Christus
gibt es nicht mehr die Ausrede: „Bin ich der Hüter meines Bruders?“ (Gen
4,9). – Ja, wir sind die Hüterinnen und Hüter unserer Brüder und
Schwestern, der ungeborenen und der alt gewordenen. Das ist unsere
Aufgabe! Weil wir Gott kennen und Gott lieben, stehen wir dazu. Amen.
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