Dienstag, 22. Januar 2013

Der Preis für billiges Fleisch

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im Supermarkt sind Turbomast und Massentierhaltung mit mindestens 40000 Hühnern oder 2000 Schweinen in einem Stall; Ekelfutter, Tiertransporte und Medikamenteneinsatz. Viele Verbraucher sind nicht mehr bereit, diesen Preis zu bezahlen, sie kaufen bewusster ein und kämpfen hartnäckig gegen Großprojekte der Agrarindustrie. Ein Besuch der Widerstandsnester: In der Schlachtzone


Die Schweine sind noch nicht da, Frau Wolf weiß nicht, wann sie kommen. Früher oder später, es spielt im Grunde keine Rolle. Sie wird so oder so weiterkämpfen. Sie kann nicht mehr anders. Sie steht jetzt vor einem Trümmerhaufen.

Eine kleine Frau von 59 Jahren, hager und trotzig. Da drüben, sagt sie, wird bald schon ein Maststall gebaut, 185 Meter lang. "Das muss man sich mal vorstellen." Hinter ihr sind zwei schwarze Gülle-Silos in die Höhe gewachsen, sie stehen fast im Wasser: Seit der Schneeschmelze ist die Annaburger Heide eine Seenlandschaft. Aber so ruhig, wie es jetzt ist, wird es nicht bleiben. Gerbisbach in Sachsen-Anhalt erwartet Zuwachs. Neben den 240 Menschen wohnen hier bald 30 000 Schweine.

Die Nachricht erwischte Gabriele Wolf kurz vor Weihnachten 2005. Der holländische Agrar-Industrielle Harry van Gennip, las sie, plane auf der verfallenen Jungrinder-Anlage "Fortschritt Gerbisbach" eine Schweinefabrik. Von 4500 Ferkeln war da die Rede, das klang irgendwie süß. Frau Wolf aber wollte es genau wissen. Mit ihrem Mann betreibt sie, keine 1000 Meter entfernt, eine Hundeschule, sie verkaufen Polizei- und Minensuchhunde in die ganze Welt. Hunde haben empfindliche Nasen. Schweinegülle stinkt erbärmlich.

Frau Wolf begann zu ermitteln. 20 000 Euro für die Bürgermeisterin. Heute sitzt die Deutschlehrerin im Stadtrat von Jessen, die Schweine haben sie zur Politik gebracht. Sie führt die Fraktion "Bürger bewegen Probleme", die bei den Wahlen 2009 als einzige satt dazu gewann. Mit ihrer Initiative hat sie, im spärlich besiedelten Landkreis Wittenberg, 5200 Unterschriften gegen die Schweinefabrik und die jährlich zu erwartenden 33000 Kubikmeter Gülle gesammelt. Sie hat sich alle Informationen über den Statthalter des Investors, den früheren Landwirtschaftsminister Helmut Rehhahn (SPD), besorgt. Was sie dabei erfuhr, hat sie nicht amüsiert.

Rehhahn schied 1996 aus dem Amt, weil er unrechtmäßig Fördermittel verteilt hatte. Inzwischen ist er Unternehmensberater und versuchte als van Gennips rechte Hand unter anderem, eine weitere Großanlage im sachsen-anhaltinischen Mahlwinkel durchzusetzen, indem er der Bürgermeisterin 20 000 Euro anbot.

Mehrfach konnten Frau Wolf und ihre Mitstreiter dem Ex-Minister auch in ihrem Fall Mauscheleien nachweisen. Verhindern konnten die Bürger die "Riesen-Schweinerei", wie Wolf sie nennt, aber nicht. Im August 2009 erhielten die Investoren die Genehmigung.

Ans Aufgeben aber denkt in Gerbisbach niemand. Postwendend reichten die Bürger Klage ein. Bis jetzt wurde noch kein Schwein in der alten Jungrinder-Anlage gesichtet. Frau Wolf weiß nicht, ob das so bleibt. Aber sie ist sicher: Die Zeit läuft für sie. "Schauen Sie sich den Dioxin-Skandal an", sagt die Rebellin. "Inzwischen hat jeder gemerkt, dass in der Massentierhaltung das Gewinnstreben größer ist als das Gewissen. Der Widerstand nimmt überall zu."

 

Quelle

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