Von Emma Finkelstein. – Etwa vierhundert Frauen leben im „Centre
d’accueil de Delwende“ am nordöstlichen Stadtrand von Ouagadougou. Der
Hexerei beschuldigt, mussten sie ihre Dörfer verlassen, und fanden in
diesem Heim Unterschlupf. Was allerdings soll „Hexerei“ sein? Wer hatte
die Idee zur Gründung des Heimes? Und wie leben die Frauen miteinander?
Das würde ich gerne von dem Geschäftsführer wissen, in dessen Büro auf
dem Grundstück des Heimes ich jetzt sitze. Allein – er will oder darf
nicht mit mir reden. „Sie müssen sich zuerst an das Ministerium für
Soziales wenden,“ erklärt er und blickt mich durch seine Brille an, auf
der noch das kleine Schildchen „+1,5“ klebt. „Wenn Sie von dort eine
Erlaubnis bekommen, können wir gerne ein Interview führen.“ Das könne
indes Wochen dauern, der Ausgang insgesamt sei auf jeden Fall ungewiss,
und so lange dürfe ich hier auch nicht fotografieren. Warum? Man wisse
nie, was Journalisten aus einer Geschichte machten, und man sei
übereingekommen, es sei besser, deshalb nicht mit jedem zu sprechen.
Beziehungsweise mit keinem.
Ich versuche ihn, von meinen guten Absichten zu überzeugen, kann aber
lediglich einen weiteren Kontakt in Erfahrung bringen: Eine deutsche
Nonne habe die Leitung des Heimes inne, ich könne sie in der Kathedrale
im Stadtzentrum finden. Vermutlich werde sie auch nicht mit mir reden,
aber ausprobieren könne ich es ja. Die Aussicht, hier eine deutsche
Nonne zu treffen, klingt in jedem Fall spannend, sodass ich mich auf den
Weg mache, und anstelle der Kamera nur die Augen über das weitläufige
Gelände schweifen lasse. Während vorne ein paar Frauen etwas aus bunten
Schüsseln heraussortieren und im hinteren Teil einige in einem Garten
arbeiten, schlägt auf dem zentralen Platz ein Mann Holz. Ein Mann! Wie
kommt der hierher?
Ich fahre wieder zurück ins Stadtzentrum und gehe zum Wohnhaus der
Nonnen gleich neben der Kathedrale. Fünf Minuten später sitze ich der
gut sechzijährigen, etwas rundlichen Schwester Maria Weiß gegenüber und
kann plötzlich dem Missionsgedanken im Allgemeinen und der katholischen
Kirche im Speziellen etwas abgewinnen: Einer solchen, in sich ruhenden,
strahlenden Schönheit, bin ich noch selten begegnet! Schwester Maria hat
augenscheinlich ihre Berufung, ihren Lebenssinn gefunden und erfüllt –
ihre Augen leuchten so intensiv, dass ich mir gut vorstellen könnte, ihr
schlicht ein Stündchen schweigend gegenüberzusitzen.
Zunächst versuche ich es aber doch noch mal mit einem Gespräch über
das Frauenhaus. Aber auch Schwester Maria meint, nichts sagen zu dürfen
ohne ministerielle Genehmigung. Der Glaube an Hexerei sei hierzulande
eben noch ein sehr heißes Eisen, da wollten die offiziellen Stellen
vorsichtig sein – schließlich habe man auch nicht ohne Grund die Leitung
des Heimes an Ausländer übergeben. „Die Leute hier suchen immer
jemanden, der Schuld ist, wenn zum Beispiel ein Kind stirbt oder jemand
einen Unfall hat.“ Zudem sei der Vorwurf der Hexerei auch ein bequemes
Mittel, um jemand aus dem Verkehr zu räumen, „wenn eine Frau zum
Beispiel erfolgreich ist, oder der Mann lieber mit einer anderen
zusammen wäre.“
Mit Kräuterheilungen oder Geisterbeschwörungen hätten die als „Hexen“
stigmatisierten Frauen nichts zu tun, sondern lebten bis zum Moment
ihrer Vertreibung gemeinhin als normale Händlerinnen oder Bäuerinnen in
der Dorfgemeinschaft. Ihre Kinder und möglichen Besitz dürften sie nie
mitnehmen. „Die Frauen verlieren ihr ganzes bisheriges Leben. Sie kommen
bei uns schwer traumatisiert an und wissen erstmal gar nicht, wie ihnen
geschehen ist.“ In dem Heim würden sie dann zunächst mal mit dem
Überlebenswichtigen versorgt, bekämen einen Ort zum schlafen und würden
langsam wieder an ihre Kraft herangeführt. „Sie gehen zum Beispiel auf
den Markt und sammeln dort noch Verwertbares ein oder machen
Kunsthandwerksarbeiten. Sie müssen ja arbeiten, um etwas zu tun zu haben
und wieder zu etwas Selbstwertgefühl zu kommen.“ Männer würden fast nie
der Hexerei beschuldigt, da „meist ja die Frauen bei der Heirat in das
Dorf des Mannes ziehen. Der ist dort verwurzelt und lässt sich weniger
leicht vertreiben.“ Einige lebten dennoch in dem Frauenhaus – allerdings
seien das psychisch Kranke. „Für die hatte man keine andere Unterkunft,
da hat man uns gefragt, ob wir die auch nehmen, und wir haben
zugestimmt, damit die nicht auf der Straße landen.“
Ablehnen kann sie schlecht. Schwester Maria Weiß macht seit vielen
Jahren Sozialarbeit. 1970 ist sie als „Weiße Schwester“ nach Burkina
Faso gekommen. Die katholische Gemeinschaft wurde 1869 von Kardinal
Charles Lavigerie in Algerien gegründet, versteht sich als missionarisch
und trägt ihren Namen aufgrund der weißen Ordenstracht. Ich frage die
Schwester, wie sie auf die Idee kam, als Nonne nach Afrika zu gehen.
„Nun, ich hatte eine Berufung. Der bin ich gefolgt. Das machen Sie mit
Ihrem Journalismus ja auch.“
Inzwischen sind knapp die Hälfte der
Novizinnen des Ordens Afrikanerinnen. In Ouagadougou befindet sich zudem
das Ausbildungszentrum für den französischsprachigen Teil des
Kontinents. Hier werden die Anwärterinnen geschult, um anschließend den
Glauben an den christlichen Gott weiterzuverbreiten. Probleme bei der
Arbeit hätten sie hierzulande nie gehabt, so Schwester Maria, die
Burkinabe seien sehr tolerant und religiös gemischt. Vom radikalen Islam
sei man weit entfernt, stattdessen hätten die meisten Familien sowohl
moslemische als auch christliche Mitglieder. „Nur seitdem das jetzt in
Mali passiert ist, haben alle ein bisschen Angst, dass es hier auch
eines Tages so kommen könnte.“
Alles Gute.
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