Dienstag, 29. Januar 2013

Gute Geschichten – Vor Hexen wird gewarnt

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Von Emma Finkelstein. – Etwa vierhundert Frauen leben im „Centre d’accueil de Delwende“ am nordöstlichen Stadtrand von Ouagadougou. Der Hexerei beschuldigt, mussten sie ihre Dörfer verlassen, und fanden in diesem Heim Unterschlupf. Was allerdings soll „Hexerei“ sein? Wer hatte die Idee zur Gründung des Heimes? Und wie leben die Frauen miteinander? Das würde ich gerne von dem Geschäftsführer wissen, in dessen Büro auf dem Grundstück des Heimes ich jetzt sitze. Allein – er will oder darf nicht mit mir reden. „Sie müssen sich zuerst an das Ministerium für Soziales wenden,“ erklärt er und blickt mich durch seine Brille an, auf der noch das kleine Schildchen „+1,5“ klebt. „Wenn Sie von dort eine Erlaubnis bekommen, können wir gerne ein Interview führen.“ Das könne indes Wochen dauern, der Ausgang insgesamt sei auf jeden Fall ungewiss, und so lange dürfe ich hier auch nicht fotografieren. Warum? Man wisse nie, was Journalisten aus einer Geschichte machten, und man sei übereingekommen, es sei besser, deshalb nicht mit jedem zu sprechen. Beziehungsweise mit keinem.

Ich versuche ihn, von meinen guten Absichten zu überzeugen, kann aber lediglich einen weiteren Kontakt in Erfahrung bringen: Eine deutsche Nonne habe die Leitung des Heimes inne, ich könne sie in der Kathedrale im Stadtzentrum finden. Vermutlich werde sie auch nicht mit mir reden, aber ausprobieren könne ich es ja. Die Aussicht, hier eine deutsche Nonne zu treffen, klingt in jedem Fall spannend, sodass ich mich auf den Weg mache, und anstelle der Kamera nur die Augen über das weitläufige Gelände schweifen lasse. Während vorne ein paar Frauen etwas aus bunten Schüsseln heraussortieren und im hinteren Teil einige in einem Garten arbeiten, schlägt auf dem zentralen Platz ein Mann Holz. Ein Mann! Wie kommt der hierher?

Ich fahre wieder zurück ins Stadtzentrum und gehe zum Wohnhaus der Nonnen gleich neben der Kathedrale. Fünf Minuten später sitze ich der gut sechzijährigen, etwas rundlichen Schwester Maria Weiß gegenüber und kann plötzlich dem Missionsgedanken im Allgemeinen und der katholischen Kirche im Speziellen etwas abgewinnen: Einer solchen, in sich ruhenden, strahlenden Schönheit, bin ich noch selten begegnet! Schwester Maria hat augenscheinlich ihre Berufung, ihren Lebenssinn gefunden und erfüllt – ihre Augen leuchten so intensiv, dass ich mir gut vorstellen könnte, ihr schlicht ein Stündchen schweigend gegenüberzusitzen.

Zunächst versuche ich es aber doch noch mal mit einem Gespräch über das Frauenhaus. Aber auch Schwester Maria meint, nichts sagen zu dürfen ohne ministerielle Genehmigung. Der Glaube an Hexerei sei hierzulande eben noch ein sehr heißes Eisen, da wollten die offiziellen Stellen vorsichtig sein – schließlich habe man auch nicht ohne Grund die Leitung des Heimes an Ausländer übergeben. „Die Leute hier suchen immer jemanden, der Schuld ist, wenn zum Beispiel ein Kind stirbt oder jemand einen Unfall hat.“ Zudem sei der Vorwurf der Hexerei auch ein bequemes Mittel, um jemand aus dem Verkehr zu räumen, „wenn eine Frau zum Beispiel erfolgreich ist, oder der Mann lieber mit einer anderen zusammen wäre.“
Mit Kräuterheilungen oder Geisterbeschwörungen hätten die als „Hexen“ stigmatisierten Frauen nichts zu tun, sondern lebten bis zum Moment ihrer Vertreibung gemeinhin als normale Händlerinnen oder Bäuerinnen in der Dorfgemeinschaft. Ihre Kinder und möglichen Besitz dürften sie nie mitnehmen. „Die Frauen verlieren ihr ganzes bisheriges Leben. Sie kommen bei uns schwer traumatisiert an und wissen erstmal gar nicht, wie ihnen geschehen ist.“ In dem Heim würden sie dann zunächst mal mit dem Überlebenswichtigen versorgt, bekämen einen Ort zum schlafen und würden langsam wieder an ihre Kraft herangeführt. „Sie gehen zum Beispiel auf den Markt und sammeln dort noch Verwertbares ein oder machen Kunsthandwerksarbeiten. Sie müssen ja arbeiten, um etwas zu tun zu haben und wieder zu etwas Selbstwertgefühl zu kommen.“ Männer würden fast nie der Hexerei beschuldigt, da „meist ja die Frauen bei der Heirat in das Dorf des Mannes ziehen. Der ist dort verwurzelt und lässt sich weniger leicht vertreiben.“ Einige lebten dennoch in dem Frauenhaus – allerdings seien das psychisch Kranke. „Für die hatte man keine andere Unterkunft, da hat man uns gefragt, ob wir die auch nehmen, und wir haben zugestimmt, damit die nicht auf der Straße landen.“

Ablehnen kann sie schlecht. Schwester Maria Weiß macht seit vielen Jahren Sozialarbeit. 1970 ist sie als „Weiße Schwester“ nach Burkina Faso gekommen. Die katholische Gemeinschaft wurde 1869 von Kardinal Charles Lavigerie in Algerien gegründet, versteht sich als missionarisch und trägt ihren Namen aufgrund der weißen Ordenstracht. Ich frage die Schwester, wie sie auf die Idee kam, als Nonne nach Afrika zu gehen. „Nun, ich hatte eine Berufung. Der bin ich gefolgt. Das machen Sie mit Ihrem Journalismus ja auch.“ 

Inzwischen sind knapp die Hälfte der Novizinnen des Ordens Afrikanerinnen. In Ouagadougou befindet sich zudem das Ausbildungszentrum für den französischsprachigen Teil des Kontinents. Hier werden die Anwärterinnen geschult, um anschließend den Glauben an den christlichen Gott weiterzuverbreiten. Probleme bei der Arbeit hätten sie hierzulande nie gehabt, so Schwester Maria, die Burkinabe seien sehr tolerant und religiös gemischt. Vom radikalen Islam sei man weit entfernt, stattdessen hätten die meisten Familien sowohl moslemische als auch christliche Mitglieder. „Nur seitdem das jetzt in Mali passiert ist, haben alle ein bisschen Angst, dass es hier auch eines Tages so kommen könnte.“

Alles Gute.


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