Dienstag, 15. Januar 2013

Auf dem Subkontinent leben 450 Millionen Muslime, über ein Drittel davon in Indien

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Janis Anmerkung:
Spielt der Geist des Islam bei den Massenvergewaltigungen eine Rolle?


Wenn man von Indien spricht, denkt man sicher auch heute noch in Bezug auf die Religion in erster Linie an die Hindus. Dabei wird vergessen, dass Indien und der gesamte südasiatische Subkontinent zu den Regionen gehören, in denen die meisten Muslime leben. 

 Wenn man von Indien spricht, denkt man sicher auch heute noch in Bezug auf die Religion in erster Linie an die Hindus. Sie bestimmen mit ihren Traditionen und Riten in der deutschen Öffentlichkeit weitgehend die Vorstellung über das Land. Dabei wird vergessen, dass Indien und der gesamte südasiatische Subkontinent zu den Regionen gehören, in denen die meisten Muslime in der Welt leben. Nach Indonesien weist Indien die zweitgrößte Zahl von Muslimen auf – etwa 150 bis 170 Millionen, die einem Bevölkerungsanteil von 13,4 Prozent (Zensus 2001) entsprechen. Damit liegt Indien etwa gleichauf mit Pakistan und Bangladesch. Zusammen leben hier über 450 Millionen Muslime – etwa zwei bis drei Mal mehr als in der arabischsprachigen Welt.

Einflüsse des Islam sind nicht nur unter den verschiedenen muslimischen Gemeinschaften Indiens zu finden, die ungleich über das ganze Land verteilt leben – vor allem in Kaschmir, Uttar Pradesh, Bihar, Westbengalen, Assam, Andhra Pradesh sowie an der West- und Ostküste des Landes, darunter dem Inselarchipel Lakshadweep. Der Islam prägte auch viele Gebiete der Kultur wie Literatur und Sprachen oder Architektur, selbst die Kino-Industrie in Mumbai (Bombay). Bis heute spielt die mit Hindi eng verwandte nordindische Sprache Urdu eine zentrale Rolle in der Kommunikation unter den Muslimen Indiens und Südasiens. Muslime gelten heute im Durchschnitt sozialökonomisch als benachteiligt und sind in den Wachstumsbranchen der Wirtschaft unterrepräsentiert. Trotz einheitlicher Rechtsverhältnisse in Indien haben Muslime die Möglichkeit, Personenstandsfragen nach dem Scharia-Zivilrechtsgesetz von 1937 gesondert zu regeln.

Zusammenleben der Religionsgruppen überwiegend friedlich

Die muslimische Minderheit ist ein Faktor in der Innenpolitik wie auch in den internationalen Beziehungen Indiens geblieben. Zwar gibt es in Indien keine gesamtnationale muslimische Partei, aber auf lokaler und regionaler Ebene haben sich in Kaschmir, Kerala, Andhra Pradesh, Karnataka, Tamil Nadu, Assam und Westbengalen kleinere Parteien etabliert, die zum Teil auch als Koalitionspartner in den Bundesstaaten regiert haben. Bei gesamtnationalen Wahlen bemühen sich die großen Parteien um die Stimmen der Muslime, die in zehn Wahlkreisen die Mehrheit bilden und in weiteren zehn Wahlkreisen mit 30 bis 40 Prozent Stimmenanteil als wahlentscheidend gelten können.

Neben dem Unionsterritorium Lakshadweep ist der Bundesstaat Jammu und Kaschmir der einzige mit einer Muslim-Mehrheit. Seit den Kriegen mit Pakistan von 1948/49 kontrollieren Pakistan ein und Indien zwei Drittel von Kaschmir. In dem Konflikt spielen auch separatistische Muslim-Gruppen eine Rolle, darunter die örtliche Islamische Partei (Jama´at-i Islami). Die aktivsten militanten Gruppen wie Lashkar-e Taiba (Heilige Armee) und Jaish-e Muhammadi (Armee Muhammads) erhalten offenbar auch aus Pakistan Unterstützung. Mehrere Gruppen haben sich 1993 in Kaschmir in dem oppositionellen Parteienbündnis der All Parties Hurriyat Conference zusammengeschlossen, von denen einige eine pro-pakistanische Position vertreten.

Muslime sind auch regelmäßig Opfer inter-religiöser Gewalt, zuletzt 2002 bei den Pogromen im Bundesstaat Gujarat, denen nach offiziellen Angaben 800 Muslime und 250 Hindus erlagen, Nichtregierungsorganisationen sprechen sogar von über 2000 Todesopfern. Doch obwohl Muslime häufig von radikalen Hindu-Nationalisten zu "Feinden der Nation" deklariert werden, verläuft das Zusammenleben zwischen den Religionsgruppen auf ganz Indien bezogen überwiegend friedlich.

Außenpolitisch muss sich Indien vor allem mit den Ansprüchen einzelner politischer Kräfte in Pakistan auseinandersetzen. Diese verlangen eine Mitsprache beim Umgang mit den Muslimen in Indien. Zugleich hat Pakistan häufig versucht, Indiens Beziehungen zu muslimischen Staaten zu behindern. Das richtete sich auch gegen Indiens frühere Versuche, der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) beizutreten. Dennoch unterhält es, nicht zuletzt aus diesen Gründen, enge Beziehungen zu einer Reihe islamischer Länder wie Iran, Saudi-Arabien und Indonesien. Im Nahost-Konflikt steht Indien traditionell auf der Seite der Palästinenser, obwohl es seit einigen Jahren auch graduell seine Beziehungen zu Israel entwickelt.

Um die Rolle des Islam in Indien und Südasien richtig zu verstehen, muss man das Land auch im Zusammenhang mit seinen Nachbarn Pakistan und Bangladesch sehen. Alle drei waren bis 1947 Teil der Kolonie Britisch-Indien. Damals hatten sich die mehrheitlich von Muslimen bewohnten Gebiete als selbständiger Staat Pakistan abgespalten. Dessen Ostteil erlangte wiederum 1971 als eigener Staat Bangladesch die Unabhängigkeit. In diesem Teilungsprozess verblieb allerdings eine erhebliche Zahl von Muslimen in Indien.

Islamische Einflüsse prägen Indien sein Jahrhunderten

Die Mehrheit der indischen Muslime ist stark säkularisiert. Dennoch haben die religiösen Institutionen eine große Ausdifferenzierung erfahren und in den letzten Jahrzehnten wieder stärkeren Zuspruch erhalten. Der Islam kam schon zu Lebzeiten des Propheten nach Indien, offenbar durch arabische Händler, vor allem an der Westküste Indiens und später durch muslimische Truppen aus Richtung Afghanistan im Gebiet der heutigen Provinz Sindh in Pakistan (711) und im Punjab (10./11. Jahrhundert). Auch Missionare in der Tradition des Sufismus trugen erheblich zur Ausbreitung des Islam bei. Nicht selten traten ganze Bevölkerungsgruppen unter der Führung ihres Kasten-, Klan- oder Stammeschefs geschlossen über. So bildeten sich Gebiete heraus, in denen der Islam dominierte. In anderen Gebieten vertraten Muslime bestimmte Berufsstände, wie die Textilarbeiter und einige Händlergruppen in Gujarat, sowie Bauern oder auch Grundbesitzer in anderen Gegenden.

Über 600 Jahre regierten muslimische Dynastien Indien, zunächst als Herrscher des Sultanats von Delhi (1211-1315), später als Kaiser des Mogul-Reiches (ab 1526). Mit dem Beginn der britischen Vorherrschaft (1756) wurde der letzte Mogul-Kaiser Bahadur Schah II. verdrängt. Er wurde formal nach dem indischen Aufstand 1857/58 abgesetzt, bevor die britische Königin Viktoria 1877 auch zur Kaiserin von Indien proklamiert wurde. Während zeitweilig die muslimische Herrschaft neben Hindu-Reichen bestand, vereinte sie in den Zeiten ihrer größten Ausdehnung fast den gesamten Subkontinent. Besonders die Regierungszeit der Mogul-Kaiser Akbar (1556-1605) und Aurangzeb (1658-1707) wird als Höhepunkt angesehen. Vor allem unter Akbar erreichten auch die Künste eine Blütezeit, für die unter anderem die bekannte Miniaturmalerei steht. Berühmte Architekturdenkmäler wie das Taj Mahal in Agra, ein Grabmal für eine Mogul-Prinzessin, sind islamisch geprägt.
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Das Nebeneinander des Islam mit anderen Religionen in einer Mischung aus Herrschaftsform und persönlichem Minderheitenbekenntnis brachte schon früh unterschiedliche Strömungen hervor. Während Akbar für die Aussöhnung mit und weit reichende Toleranz gegenüber den anderen Religionen stand, markierte Aurangzeb die Rückkehr zu einer konservativen, buchgetreuen Auslegung des Islam. Mit der Ausdehnung der britischen Herrschaft über Indien im Verlaufe des 19. Jahrhunderts organisierte sich der indische Islam in verschiedenen Gruppen und Bewegungen, die bis heute weitgehend Bestand haben. Angesichts des westlichen und christlichen Einflusses machten Muslime wie auch die Hindus oder Sikhs auf diese Weise ihren Anspruch deutlich, ihre eigene Identität zu wahren. Sie legten gemeinsam die Grundlagen für eine moderne indische Nation und den Kampf um deren Unabhängigkeit.

Deoband, Lucknow, Bareli – einflussreiche Schulen des Islam

Ihre Bewegungen organisierten sich häufig um bestimmte Schulen, die mehrere Hundert Ableger im ganzen Land und auch über die Grenzen hinaus bildeten. Das Religionsseminar von Deoband in Nordindien wurde 1867 gegründet und steht seither für eine orthodoxe, puristische Interpretation des Islam, der es um die strikte Auslegung der Schriften und die strenge Einhaltung der religiösen Vorschriften geht. Den danach benannten Deobandis geht es auch um die Beseitigung fremder kultureller Einflüsse auf die Glaubenspraxis.

Gesonderte Erwähnung verdient die Nadwa, das islamische Religionsseminar aus Lucknow (1893). Obwohl es viele Deobandi-Grundsätze teilt, erlangte es relative Eigenständigkeit mit seiner Betonung moderner Sprachkenntnisse. Sein Rektor spielt traditionell eine herausgehobene öffentliche Rolle im Muslimischen Rechtsrat (Muslim Law Board), der verschiedene islamische Gruppen zusammenführt, um das islamische Recht für die indischen Verhältnisse auszulegen.

Wachsenden Einfluss verzeichnet die ebenfalls der Deobandi-Tradition folgende Missionsbewegung der Tablighi Jama'at, die eher pietistischen Charakter hat. Sie entstand 1926 im Zuge der Auseinandersetzung mit Hindu-Reformern um die Bekehrung muslimischer Stammesgruppen. Heute agiert sie weltweit von ihrem Zentrum in Neu Delhi und wendet sich vor allem an Muslime, die sie zu einer religiösen Lebensführung veranlassen will. Politische Aufmerksamkeit hat vor allem die Berufung der afghanischen Taliban auf die Deobandi-Tradition erregt, obwohl keine direkte Verbindung zum Leitseminar in Deoband besteht.

In dem Nachbarort Bareli entstand die danach benannte Bewegung der Barelwis, die 1900 von Ahmad Raza Khan (1856-1921) begründet wurde. Sie verteidigt die für Südasien typischen, dem Sufismus nahe stehenden Glaubenspraktiken. Diese schließen auch die Verehrung von Schreinen und die besondere Hervorhebung des Propheten ein, woran die Deobandis Anstoß nehmen. Während beide Gruppen, Deobandis und Barelwis, trotz ihrer Rivalität als Anhänger der sunnitischen Hanafi-Rechtsschule im Islam viele theologische Gemeinsamkeiten aufweisen, grenzen sich andere Gruppen stärker ab.

Die ebenfalls sunnitische Sekte der Ahl-i Hadith (Volk der Tradition) lehnt alle vier anerkannten Rechtsschulen ab und verlangt die direkte Berufung auf den Koran und die Prophetentraditionen (Hadith). Sie entstand um 1864 in Bhopal. Ihre religiösen Schulen konzentrieren sich in Indien in den nördlichen und zentralen Bundesstaaten Uttar Pradesh, Bihar und Madhya Pradesh. Seit den 70er Jahren unterhält sie zunehmend enge theologische und politische Verbindungen zu Saudi Arabien, wofür sie von anderen Gruppen häufig kritisiert wird.

Zahlreiche Kontroversen löst die Sekte der Ahmadiya aus, die um 1889 ebenfalls in Nordindien, in Punjab entstand. Ihr Begründer Ghulam Ahmad Khan (1839-1908) ist vor allem wegen seiner prophetischen Ansprüche bei den meisten Muslimen umstritten. Radikale Sunniten verfolgen die Sekte als "Abweichler" mit zum Teil militanten Methoden. Modernen politischen Grundsätzen folgte die islamische Partei der Jama'at-i Islami, die 1941 von Sayyid Abu'l 'Ala Maududi (1903-1979) begründet wurde. Theologisch zwar von der Deoband-Bewegung beeinflusst, trägt sie wegen ihres Modernisierungsanspruchs dennoch stark eigenständige Züge.

Während die erwähnten Gruppen religiöse Grundsätze in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten rücken, verfolgten die Anhänger der Aligarh-Bewegung eher weltliche Ansprüche. In Aligarh, nicht weit von Deoband und Bareli gelegen, etablierte sich dank dem energischen Engagement von Sayyid Ahmad Khan (1817-1898) nach dem Vorbild englischer Bildungseinrichtungen 1877 das erste Muslim College, das 1920 zur Muslim-Universität aufstieg, die bis heute besteht. Ihm ging es darum, religiöses Bekenntnis mit moderner weltlicher Bildung in Einklang zu bringen. Auf seine Vorstellungen von der besonderen Rolle der indischen Muslim-Gemeinschaft stützten sich später die Politiker der Muslim-Liga unter Mohammad Ali Jinnah (1876-1948) mit ihren Forderungen nach einem Separatstaat für die indischen Muslime, Pakistan. Zugleich berufen sich bis heute viele muslimische Modernisierer auf die Aligarh-Schule.

Einen festen Bestandteil des islamischen Spektrums in Indien bilden die verschiedenen Richtungen der Schiiten. Ihr Anteil wird auf 12 bis 15 Prozent der Muslime geschätzt. Ihre Zentren befinden sich ebenfalls in Uttar Pradesh sowie an der Westküste.

Zusammenfassung

Die 150 bis 170 Millionen Muslime sind nicht nur die größte religiöse Minderheit in Indien (13,4 Prozent), sondern auch im internationalen Vergleich ein bedeutender Faktor. Sie leben ungleich verteilt über das ganze Land, konzentrieren sich besonders im Norden und an den Küsten. Der durch den Konflikt mit Pakistan bekannte Bundesstaat Jammu und Kaschmir hat eine Muslimmehrheit. Obwohl es keine nationale Muslimpartei gibt, spielen muslimische Politiker in vielen Parteien eine Rolle, vor allem auf regionaler und lokaler Ebene. In Bildung, Wirtschaft und Verwaltung gelten Muslime als benachteiligt. Religiöse Strömungen und Schulen des Islam (Deobandis / Tablighi Jama´at, Barelwis, Ahl-i Hadith) haben sich erheblichen Einfluss bewahrt und ihn auch auf andere islamische Länder ausgedehnt. Trotz gelegentlicher örtlicher Gewaltausbrüche bei Spannungen mit Vertretern anderer Religionen, verläuft das Zusammenleben überwiegend friedlich.

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