Montag, 14. Januar 2013

Der Abfall vom Islam

...
VON: PROF. DR. CHRISTINE SCHIRRMACHER

Wenn in einem islamischen Land Muslime zum Christentum konvertieren und mit der Todesstrafe bedroht werden – wie derzeit einige afghanische Konvertiten – flammt die Menschenrechtsdiskussion erneut öffentlich auf. Im Westen werden die Einschränkung der Religionsfreiheit und ein Verstoß gegen die Menschenrechte in den Vordergrund der Diskussion gerückt. Gleichzeitig aber haben fast alle islamischen Länder Menschenrechtsrerklärungen unterzeichnet, wie zum Beispiel die "Allgemeine Menschenrechtserklärung" der Vereinten Nationen aus dem Jahr 194811Worauf sind die divergierenden Auffassungen zurückzuführen? 



Islamische Menschenrechtserklärungen unter der Präambel der Scharia 
Die Gründe für divergierende Menschenrechtsauffassungen zwischen islamischen und westlichen Ländern liegen letztlich in der Bedeutung und dem Charakter der Scharia begründet, der Gesamtheit der Lebensregeln und der islamischen Gesetze, wie sie von maßgeblichen muslimischen Theologen aus dem Koran und der Überlieferung heraus normgebend interpretiert werden. 

Einige islamische Organisationen haben in den vergangenen Jahrzehnten eigene Menschenrechtserklärungen formuliert, die erst teilweise von verschiedenen islamischen Ländern verabschiedet wurden. Sie unterscheiden sich allerdings insofern grundsätzlich von Menschenrechtserklärungen westlicher Länder, als dass sie dem Koran und der Scharia stets den höheren Rang vor der Gewährung aller Menschenrechte einräumen. 


Menschenrechte für Muslime und Nichtmuslime
Islamische Menschenrechtserklärungen weisen in der Regel zunächst darauf hin, dass in erster Linie Gott Rechte gegenüber den Menschen, der Mensch jedoch Pflichten gegenüber Gott zu erfüllen habe. Der Mensch hat z. B. die Pflicht, sich Gott und seinem Willen zu unterwerfen und die fünf Säulen des Islam zu halten (Bekenntnis, fünfmal tägliches Gebet, Fasten im Ramadan, Almosen, Wallfahrt nach Mekka). Die Rechte des Menschen gegenüber Gott seien dem nachgeordnet. 



Religionswechsel als Staatsverrat
Muslimischen Glaubens zu sein bedeutet also, ein mit allen Rechten versehener Staatsbürger zu sein. Wer andererseits nicht dem Islam angehört, kann nicht dieselben Rechte beanspruchen. Wer sich sogar aktiv vom Islam abwendet, begeht Staats- oder Hochverrat, denn er kündigt seine Loyalität dem Staat gegenüber auf. Der Islam ist ja "Bestandteil der Grundordnung des Staates"4. Wenn also ein muslimischer Staatsbürger seinem Glauben abschwört, greift er diese Grundordnung an und gefährdet die Sicherheit und die "Stabilität der Gesellschaft, der er angehört"5. Martin Forstner fasst zusammen: "Nur wer an Gott und an den geoffenbarten Koran glaubt und die Scharia befolgt, ist fähig, Bürgerkompetenz zu entwickeln, während der Gottlose als Feind der Gesellschaft gilt.


Christen in islamischen Gesellschaften
Christen nehmen in islamischen Gesellschaften eine Sonderstellung ein. Einerseits genießen sie gewisse Rechte, gelten sie doch nach klassischer muslimischer Auffassung im Unterschied zu Angehörigen anderer Religionen nicht als ganz und gar Ungläubige, sondern als eine Art Teilgläubige. Andererseits sind sie in ihrer Religionsausübung etlichen Beschränkungen unterworfen. 



Der Status christlicher Minderheiten heute
Diese geschichtliche Situation klingt auch heute noch in der islamischen Welt nach. Christliche Minderheiten sind in den meisten Ländern in ihrer Existenz geduldet – eine Ausnahme bildet Saudi-Arabien, in dem schon der Besitz einer Bibel strafbar ist – unterliegen aber in ihrer Religionsausübung nach außen starken Beschränkungen, sowie der Kontrolle und Oberaufsicht durch den islamischen Staat, der – je nach Land verschieden – den Rahmen für die religiöse Bewegungsfreiheit der christlichen Gemeinschaften steckt. Innerhalb dieses Rahmens kann die christliche Gemeinschaft existieren, andernfalls nicht. Unter der staatlichen Oberaufsicht werden häufig offiziell erforderliche Genehmigungen für Reparaturen von Kirchengebäuden jahrelang verschleppt oder ganz verweigert, so dass Gebäude verfallen und unbrauchbar werden. Theologische Seminare dürfen keine einheimischen Priesteranwärter mehr ausbilden, aber auch niemanden aus dem Ausland aufnehmen, christliche Gemeinden keine neuen Immobilien erwerben, sich aber auch nicht in Privathäusern versammeln usw. 

Immer wieder kommen in islamischen Ländern Übergriffe, ja teilweise Ausschreitungen gegen Christen und christliche Einrichtungen vor. Oft ist der offizielle Auslöser ein "Vergehen", dessen sich Christen angeblich gegen Muslime oder den islamischen Staat schuldig gemacht haben, in anderen Fällen auch nur ein diesbezügliches Gerücht. In wieder anderen Fällen werden Kirchen oder christliche Einrichtungen – z. B. Schulen – gewissermaßen "stellvertretend" angegriffen oder zerstört, weil sich die muslimische Gemeinschaft in Palästina unterdrückt oder in westlichen Ländern diskriminiert sieht (wie jüngst im Zusammenhang mit dem dänischen Karikaturenstreit"). 



Grenzen der Glaubensfreiheit für Nichtmuslime
Obwohl die Verfassungen mancher islamischer Länder das Recht auf ungehinderte Religionsausübung und Glaubensfreiheit enthält, haben Nichtmuslime in islamischen Ländern mit dem Islam als Staatsreligion mit Schwierigkeiten bei der freien Ausübung ihrer Religion zu kämpfen. Dass Christen und Juden nicht zum Islam konvertieren müssen, sondern ihre Religion im islamischen Gebiet behalten dürfen, gilt im islamischen Kontext als Zeichen der Toleranz und Religionsfreiheit. Echte Toleranz nach westlichem Verständnis würde eine Begegnung auf Augenhöhe und rechtliche Gleichstellung bedeuten, was jedoch nirgends in der islamischen Welt zwischen Muslimen und Nichtmuslimen gegeben ist. 



...

Keine Kommentare: