VON: PROF. DR. CHRISTINE SCHIRRMACHER
Wenn in einem islamischen Land Muslime zum
Christentum konvertieren und mit der Todesstrafe bedroht werden – wie
derzeit einige afghanische Konvertiten – flammt die
Menschenrechtsdiskussion erneut öffentlich auf. Im Westen werden die
Einschränkung der Religionsfreiheit und ein Verstoß gegen die
Menschenrechte in den Vordergrund der Diskussion gerückt. Gleichzeitig
aber haben fast alle islamischen Länder Menschenrechtsrerklärungen
unterzeichnet, wie zum Beispiel die "Allgemeine Menschenrechtserklärung"
der Vereinten Nationen aus dem Jahr 194811Worauf sind die divergierenden Auffassungen zurückzuführen?
Islamische Menschenrechtserklärungen unter der Präambel der Scharia
Die Gründe für divergierende
Menschenrechtsauffassungen zwischen islamischen und westlichen Ländern
liegen letztlich in der Bedeutung und dem Charakter der Scharia
begründet, der Gesamtheit der Lebensregeln und der islamischen Gesetze,
wie sie von maßgeblichen muslimischen Theologen aus dem Koran und der
Überlieferung heraus normgebend interpretiert werden.
Einige islamische Organisationen haben in den
vergangenen Jahrzehnten eigene Menschenrechtserklärungen formuliert, die
erst teilweise von verschiedenen islamischen Ländern verabschiedet
wurden. Sie unterscheiden sich allerdings insofern grundsätzlich von
Menschenrechtserklärungen westlicher Länder, als dass sie dem Koran und
der Scharia stets den höheren Rang vor der Gewährung aller
Menschenrechte einräumen.
Menschenrechte für Muslime und Nichtmuslime
Islamische Menschenrechtserklärungen weisen in der
Regel zunächst darauf hin, dass in erster Linie Gott Rechte gegenüber
den Menschen, der Mensch jedoch Pflichten gegenüber Gott zu erfüllen
habe. Der Mensch hat z. B. die Pflicht, sich Gott und seinem Willen zu
unterwerfen und die fünf Säulen des Islam zu halten (Bekenntnis, fünfmal
tägliches Gebet, Fasten im Ramadan, Almosen, Wallfahrt nach Mekka). Die
Rechte des Menschen gegenüber Gott seien dem nachgeordnet.
Religionswechsel als Staatsverrat
Muslimischen Glaubens zu sein bedeutet also, ein mit
allen Rechten versehener Staatsbürger zu sein. Wer andererseits nicht
dem Islam angehört, kann nicht dieselben Rechte beanspruchen. Wer sich
sogar aktiv vom Islam abwendet, begeht Staats- oder Hochverrat, denn er
kündigt seine Loyalität dem Staat gegenüber auf. Der Islam ist ja
"Bestandteil der Grundordnung des Staates"4.
Wenn also ein muslimischer Staatsbürger seinem Glauben abschwört,
greift er diese Grundordnung an und gefährdet die Sicherheit und die
"Stabilität der Gesellschaft, der er angehört"5.
Martin Forstner fasst zusammen: "Nur wer an Gott und an den
geoffenbarten Koran glaubt und die Scharia befolgt, ist fähig,
Bürgerkompetenz zu entwickeln, während der Gottlose als Feind der
Gesellschaft gilt.
Christen in islamischen Gesellschaften
Christen nehmen in islamischen Gesellschaften eine
Sonderstellung ein. Einerseits genießen sie gewisse Rechte, gelten sie
doch nach klassischer muslimischer Auffassung im Unterschied zu
Angehörigen anderer Religionen nicht als ganz und gar Ungläubige,
sondern als eine Art Teilgläubige. Andererseits sind sie in ihrer
Religionsausübung etlichen Beschränkungen unterworfen.
Der Status christlicher Minderheiten heute
Diese geschichtliche Situation klingt auch heute
noch in der islamischen Welt nach. Christliche Minderheiten sind in den
meisten Ländern in ihrer Existenz geduldet – eine Ausnahme bildet
Saudi-Arabien, in dem schon der Besitz einer Bibel strafbar ist –
unterliegen aber in ihrer Religionsausübung nach außen starken
Beschränkungen, sowie der Kontrolle und Oberaufsicht durch den
islamischen Staat, der – je nach Land verschieden – den Rahmen für die
religiöse Bewegungsfreiheit der christlichen Gemeinschaften steckt.
Innerhalb dieses Rahmens kann die christliche Gemeinschaft existieren,
andernfalls nicht. Unter der staatlichen Oberaufsicht werden häufig
offiziell erforderliche Genehmigungen für Reparaturen von
Kirchengebäuden jahrelang verschleppt oder ganz verweigert, so dass
Gebäude verfallen und unbrauchbar werden. Theologische Seminare dürfen
keine einheimischen Priesteranwärter mehr ausbilden, aber auch niemanden
aus dem Ausland aufnehmen, christliche Gemeinden keine neuen Immobilien
erwerben, sich aber auch nicht in Privathäusern versammeln usw.
Immer wieder kommen in islamischen Ländern
Übergriffe, ja teilweise Ausschreitungen gegen Christen und christliche
Einrichtungen vor. Oft ist der offizielle Auslöser ein "Vergehen",
dessen sich Christen angeblich gegen Muslime oder den islamischen Staat
schuldig gemacht haben, in anderen Fällen auch nur ein diesbezügliches
Gerücht. In wieder anderen Fällen werden Kirchen oder christliche
Einrichtungen – z. B. Schulen – gewissermaßen "stellvertretend"
angegriffen oder zerstört, weil sich die muslimische Gemeinschaft in
Palästina unterdrückt oder in westlichen Ländern diskriminiert sieht
(wie jüngst im Zusammenhang mit dem dänischen Karikaturenstreit").
Grenzen der Glaubensfreiheit für Nichtmuslime
Obwohl die Verfassungen mancher islamischer Länder
das Recht auf ungehinderte Religionsausübung und Glaubensfreiheit
enthält, haben Nichtmuslime in islamischen Ländern mit dem Islam als
Staatsreligion mit Schwierigkeiten bei der freien Ausübung ihrer
Religion zu kämpfen. Dass Christen und Juden nicht zum Islam
konvertieren müssen, sondern ihre Religion im islamischen Gebiet
behalten dürfen, gilt im islamischen Kontext als Zeichen der Toleranz
und Religionsfreiheit. Echte Toleranz nach westlichem Verständnis würde
eine Begegnung auf Augenhöhe und rechtliche Gleichstellung bedeuten, was
jedoch nirgends in der islamischen Welt zwischen Muslimen und
Nichtmuslimen gegeben ist.
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