Mittwoch, 1. Januar 2014

Diagnostik und Therapie der Zöliakie

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Deutsches Ärzteblatt Int 06.12.2013; 110(49): 835-46; DOI: 10.3238/arztebl.2013.0835

Schuppan, DetlefZimmer, Klaus-Peter 

Hintergrund: 
Die Zöliakie ist eine entzündliche Erkrankung des Dünndarms mit einer Prävalenz von etwa 0,5–1 %. Sie wird durch Verzehr von Gluten in genetisch disponierten Personen (HLA-DQ2/8) ausgelöst. Pathogenetisch beteiligtes Autoantigen der Zöliakie ist die Gewebetransglutaminase (TG2).
Methoden: 
Selektive Literaturrecherche unter Einschluss nationaler und internationaler Leitlinien.
Ergebnisse: 
Die Zöliakie kann sich in jedem Alter mit gastrointestinaler (beispielsweise Malabsorption) oder extraintestinaler Symptomatik (beispielsweise Dermatitis herpetiformis Duhring) oder in Assoziation mit anderen Erkrankungen (wie Typ-1-Diabetes) manifestieren. Ein Großteil der Erkrankungen verläuft oligosymptomatisch. 
Es gibt zahlreiche Differenzialdiagnosen, unter anderem Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Entzündungen des Darms, oder das Reizdarmsyndrom. Zur Diagnose sind der Nachweis der zöliakiespezifischen Autoantikörper gegen TG2 (Endomysium) mit einer Sensitivität und Spezifität > 90 %, charakteristische histologische Läsionen der Dünndarmschleimhaut und eine Remission unter glutenfreier Ernährung erforderlich.
Schlussfolgerung: 
Wegen ihrer Häufigkeit bei phänotypischer Heterogenität, einer effektiven Diagnostik, der leichten Behandlungsmöglichkeit und damit der Vermeidbarkeit akuter und langfristiger Komplikationen sollte die Zöliakie im klinischen Alltag aller Fachdisziplinen berücksichtigt werden. Die strikt glutenfreie Diät ist lebenslang einzuhalten.

Erst vor etwa 10 000 Jahren wurde in Mesopotamien Getreide in die Ernährung des Menschen eingeführt und erreichte vor circa 7 000 Jahren Mitteleuropa. Aretaeus von Kappadokien berichtete erstmals im 2. Jahrhundert n. Chr. über eine (ernährungsabhängige) „bauchige“ Erkrankung. S. J. Gee (London, 1888) wird als Erstbeschreiber der Zöliakie angesehen. In den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts war die hohe Letalität aufgrund der Zöliakie von bis zu 30 % gefürchtet (e1).
Erst der Pädiater K. W. Dicke (Den Haag/Utrecht) erkannte in den frühen 1930er-Jahren den Zusammenhang zwischen der Zufuhr von Weizen und der Erkrankung (e2). Er sah seine Vermutung bestätigt, als sich seine Patienten unter der Weizenverknappung im Verlauf der späten Jahre des 2. Weltkrieges erholten.
In den frühen 1950er Jahren identifizierten und charakterisierten Dicke, H.A. Weyers und J.H. van de Kamer Gluten, die Speicherproteine des Weizens, als Auslöser der Zöliakie (e2).
Das morphologische Korrelat der Zöliakie, die Zottenatrophie mit Kryptenhyperplasie, wurde von L.W. Paulley (Ipswich, 1954) und M. Shiner (London, 1956) detailliert untersucht, die Gliadin-Antikörper wurden von E. Berger (Basel, 1958) und der Endomysium-Antikörper von T.P. Chorzelski (Warschau, 1983) entdeckt. Ein weiterer Meilenstein war die Entdeckung des Autoantigens der Zöliakie, der Gewebetransglutaminase (TG2) (1).
Trotz der Möglichkeit einer differenzierten und rationalen Diagnostik ist die Zöliakie aufgrund ihres breiten klinischen Spektrums und bei fehlender Anwendung serologischer Screening-Methoden weit unterdiagnostiziert (23).
Heute beträgt die diagnostische Latenz etwa vier Jahre (e3). Dies ist umso bedauerlicher, weil mit der glutenfreien Diät eine sehr effektive Therapiemöglichkeit mit präventivem Potenzial zur Verfügung steht.
Grundlage des Artikels sind evidenzbasierte Leitlinien, die in den letzten Jahren von der Agency for Healthcare Research and Quality (AHRQ, 2004), der American Gastroenterological Association (AGA, 2006), der North American Society for Pediatric Gastroenterology, Hepatology and Nutrition (NSPGHAN, 2005), dem National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE, 2009) und der European Society for Pediatric Gastroenterology, Hepatology, and Nutrition (ESPGHAN, 2012) entwickelt wurden (37), und eine selektive Literaturrecherche. Die Suchstrategie beinhaltete alle Publikationen der letzten zehn Jahre, die in PubMed unter dem Begriff „celiac disease“ mit den Einschlusskriterien „diagnosis“, „therapy“, „epidemiology“, „pathogenesis“ und „guideline“ angezeigt wurden.

Lernziele
Lernziele für den Leser sind:
  • neue Erkenntnisse zur Ätiopathogenese dieser Systemerkrankung zu gewinnen
  • die heterogene Symptomatik dieser Systemerkrankung frühzeitig zu erkennen, eine fundierte Basisdiagnostik durchzuführen und die weiterführende Konfirmationsdiagnostik zu veranlassen
  • Indikationen, Potenziale und Grenzen der glutenfreien Diät einschätzen zu können
  • Komplikationsspektrum und Präventionsmöglichkeiten der Erkrankung zu kennen.

Definition
Die Zöliakie (Synonym: einheimische Sprue) ist eine häufige entzündliche (autoimmune) Dünndarmerkrankung mit systemischer Manifestationsmöglichkeit, die durch den Verzehr glutenhaltiger Nahrungsmittel (unter anderem Weizen, Gerste, Roggen, Dinkel) ausgelöst wird. Sie lässt sich bei HLA-DQ2/8-positiven Patienten durch Serum-Autoantikörper gegen Endomysium (EMA) oder Gewebetransglutaminase (TG2), eine charakteristische duodenale Histologie (entzündliches Infiltrat, Kryptenhyperplasie, Zottenatrophie) und eine Remission der klinischen und serologischen Befunde unter glutenfreier Ernährung belegen. Neben der klassischen Zöliakie mit schwerer Diarrhö und Malabsorption manifestiert sich die Zöliakie häufiger mit geringen oder atypischen Symptomen oder primär über die mit ihr assoziierten Autoimmunerkrankungen (58).

Pathogenese
Die Zöliakie ist eine der am besten charakterisierten immunologischen Erkrankungen. Die betroffenen Patienten weisen Folgendes auf:
  • HLA-DQ2 oder -DQ8 als genetische Prädisposition
  • einen definierten Auslöser (Gluten)
  • hochsensitive und spezifische Autoantiköper gegen das körpereigene Enzym Gewebetransglutaminase (TG2).
TG2 spielt als Autoantigen der Zöliakie eine zentrale Rolle in der Pathogenese, da es die immunogenen Glutenpeptide durch eine chemische Reaktion im Dünndarm (Deamidierung) in ihrer Immunogenität potenziert.
Gluten, die alkohollösliche Fraktion des Weizenproteins, wird in großen Mengen (10–20 g pro Tag) mit der normalen Nahrung aufgenommen. Einige Glutenpeptide werden durch die gastrointestinalen Enzyme (e4) nicht abgebaut und über die Dünndarm-Mukosa transepithelial aufgenommen (9). Sie werden dort auf den antigenpräsentierenden Zellen von Trägern des HLA-DQ2 oder HLA-DQ8 (etwa 90 % beziehungsweise 10 % der Zöliakiepatienten) präsentiert und stimulieren damit glutenspezifische T-Zellen (Grafik 1).
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Die unbehandelte Zöliakie kann exazerbieren und ist nach langer Laufzeit mit einem erhöhten Risiko für gastrointestinale Malignome, insbesondere dem insgesamt sehr seltenen intestinalen T-Zell-Lymphom 

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Von besonderer Bedeutung sind die extraintestinalen Manifestationen der Zöliakie, die gegenüber intestinalen Symptomen im Vordergrund stehen können und bei früher Diagnosestellung häufig auf eine glutenfreie Diät (GFD) reagieren. Hierzu gehören zum Beispiel Hepatopathien, die Dermatitis herpetiformis Duhring, IgA-Nephropathie - Nierenkörperchen, Temporallappen-Epilepsie, zerebelläre Ataxie, periphere Neuropathie, Lungenhämosiderose oder „unspezifische“ Symptome wie Gelenkbeschwerden, Erschöpfung, Kopfschmerzen, Stimmungsschwankungen (Depression) und Obstipation(Kasten 1).
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