Polen erkennt deutsch-französische Führung in der EU nicht an
Der EU droht eine neue Konflikt-Linie: Die polnische Regierungschefin
Szydlo lehnt eine deutsch-französische Führung der EU ab. Polen werde
den von Paris und Berlin anvisierten Weg einer stärkeren Integration der
EU nicht mitgehen. Auch andere Osteuropäer wollen nicht mitziehen.
Erste Rufe nach einer Entmachtung der EU-Kommission werden laut.
Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo sieht den
deutsch-französischen Motor innerhalb der EU nach dem Brexit-Votum der
Briten deutlich geschwächt. Sie glaube nicht, dass das
deutsch-französische Duo nun noch in der Lage sei, „etwas Neues für die
Europäische Union zu erreichen“, sagte die Politikerin am Montag dem
Fernsehsender TVP Info.
Paris und Berlin seien der Ansicht, dass die Integration der EU
vertieft werden müsse, fuhr Szydlo fort. „Wir sagen: Nein, diesen Weg
können wir nicht weiter beschreiten.“ Die Briten hätten diese Vision der
EU mit ihrem Votum am vergangenen Donnerstag zurückgewiesen. Die EU
brauche stattdessen „neue Gesichter, eine neue Vision und eine neue
Konzeption“.
Gegen eine weitere EU-Integration hatte sich zuvor bereits der
polnische Außenminister Witold Waszczykowski ausgesprochen. Am Montag
sagte er nach einem Treffen mit Kollegen in Warschau, Polen werde bei
dem am Dienstag beginnenden Brüsseler EU-Gipfel einige „radikale
Vorschläge“ präsentieren. Dazu gehöre unter anderem die Forderung, dass
der Europäische Rat, also die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder,
die entscheidende Rolle in der EU spielen müsse und nicht die
Kommission.
Unterdessen reagierten einige EU-Oststaaten skeptisch auf die
Forderung von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und seinem
französischen Kollegen Jean-Marc Ayrault nach einer engeren
Zusammenarbeit der EU in den Bereichen Sicherheit, Verteidigung und
Migration. In einem gemeinsamen Papier hatten die beiden Minister unter
anderem „weitere Schritte in Richtung einer Politischen Union in Europa“
vorgeschlagen.
Der tschechische Außenminister Lubomir Zaoralek sagte dazu in Prag,
es ergebe derzeit keinen Sinn, über eine „rasche oder überstürzte
Integration zu sprechen“. Das wäre eine „dumme Antwort“ auf das, was in
Großbritannien passiert sei. Es sei klar geworden, dass die
Öffentlichkeit hinter diesen Integrationsprozessen hinterherhinke.
Steinmeier und Ayrault hatten sich am Montag in Prag mit ihren
Kollegen der Visegrad-Staaten Tschechien, Polen, Ungarn und der Slowakei
getroffen. Zaoralek sagte, die vier östlichen EU-Mitglieder hätten
Vorbehalte gegenüber einer gemeinsamen Sicherheitspolitik.
Der Vorsitzende der polnischen Regierungspartei PiS, Jaroslaw
Kaczynski, will Großbritannien nach dem Brexit-Votum die Rückkehr in die
Europäische Union ermöglichen. Als erster europäischer
Führungspolitiker vertrat Kaczynski am Montag bei einem Besuch in
Bialystok die Ansicht, die Briten sollten Gelegenheit erhalten, bei
einem zweiten Referendum den Beschluss über den Austritt aus der EU vom
vergangenen Donnerstag zurückzunehmen. Der Austritt Großbritanniens aus
der EU sei „sehr schlecht“, fügte Kaczynski hinzu.
Das alte „fatale Prinzip“, nach dem es „mehr Europa geben muss, wenn
etwas nicht funktioniert“, müsse aufgegeben werden, forderte Kaczynski.
Dieses Prinzip sei darauf hinausgelaufen, dass es immer „mehr
Integration, mehr Macht für Brüssel, das heißt für Berlin und Paris, vor
allem für Berlin“ gegeben habe, sagte Kaczynski. Die immer engere
politische und wirtschaftliche Integration könne „in einer Katastrophe
enden“.
Kaczynski gehört nicht der Regierung von Ministerpräsidentin Beata
Szydlo an, gilt aber als zentraler Entscheidungsträger der polnischen
Führung. In einer ersten Reaktion auf das Brexit-Votum hatte er am
Freitag ein Modell auf der Basis der „Nationen, der Nationalstaaten“
vorgeschlagen.
Kaczynski kritisierte die Rolle, die der aus Polen stammende
EU-Ratspräsident Donald Tusk in der Debatte um den Brexit gespielt habe,
als „ausgesprochen finster“. Tusk müsse „ganz einfach von der
europäischen Bühne verschwinden“, sagte Kaczynski.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten
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