Samstag, 25. Juni 2016

Si tacuisses, philosophus mansisses

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Im  ersten Buch seiner dreibändigen ‚Geschichte der Philosophie’ behandelt der Philosoph Richard David Precht Erkenntnisse der Antike. Zum Thema Judentum und Christentum hat er sich heillos verirrt.

Ein Gastbeitrag von Hubert Hecker.

Im Interview mit der Münchener Abendzeitung wird Precht nach seinen Motiven gefragt. Seine Antwort: Ich hatte das unbändige Bedürfnis, ein Buch zu schreiben, das ich als Student selber gerne gelesen hätte, um den Überblick zu bekommen.

Eine weitere Frage lautete: Wozu braucht man Religion? Er persönlich brauche keine, meint der Schriftsteller.
Aber ich zeige in meinem Buch ja auch, wie das Christentum entstanden ist. Erstaunlich eigentlich, denn es hatte zuvor schon so viel Klügeres gegeben. Die Philosophie war schon auf einem viel höheren Niveau als das, was dann kam. Das Christentum war ein enormer kultureller Rückschritt.
Mit dem vielen Klugen in der Zeit vor dem Christentum meint Precht insbesondere die großen griechischen Philosophen wie Sokrates, Platon und Aristoteles, auch wohl die römische Stoa. Durch die Ausbreitung des Christentums sei dann ein kultureller Rückschritt eingetreten. Mit dieser These zeigt der Philosoph, wie wenig er vom frühen Christentum und seiner Beziehung zur Philosophie verstanden hat.


Das griechische Erbe gehört wesentlich zum Christentum

Es war das besondere Forschungsgebiet vom Theologen Joseph Ratzinger, der Hellenisierung des Christentums nachzuspüren und sie zu rechtfertigen. In seiner Regensburger Rede kommt er darauf zurück, dass das griechische Erbe wesentlich zum Christlichen Glauben gehört. Das innere Aufeinanderzugehen zwischen biblischem Glauben und griechischem philosophischem Fragen sei schon in der jüdisch-biblischen Zeit der Weisheitsliteratur ausgeprägt gewesen. Als Beispiel nennt er die in Alexandria entstandene griechische Übersetzung des Alten Testaments, die Septuaginta. In ihr habe das Beste des griechischen Denkens den entmythologisierten Glaubenshorizont  der jüdischen Spätzeit inspiriert. Es sei dabei zutiefst  um die Begegnung zwischen Glaube und Vernunft, zwischen rechter Aufklärung und Religion gegangen.


Samenkörner der Wahrheit in der griechischen Philosophie

Wenn Johannes in seiner Evangeliumseinleitung Gott den logos nennt, was sowohl  Wort wie auch Vernunft bedeutet, dann ist schon bald nach Jesu Tod eine erste Synthese von biblischem Glauben und griechischem Denken auf den Weg gebracht, so Papst Benedikt 2006 in Regensburg. 

Ein weiterer Zeuge dafür ist der Märtyrer Justin (+165). Der heidnische Philosoph war mit den Hauptströmungen der damaligen Denkschulen vertraut wie Platoniker, Peripatetiker, Pythagoräer und Stoa. Er bekehrte sich schließlich zum Christentum, das er die allein zuverlässige und brauchbare Philosophie nannte.  In Justin manifestiere sich die klare Option der frühen Kirche für eine Philosophie, die von den heidnischen Mythen und Götterkulten sowie von den kulturellen Gewohnheiten der Zeit gereinigt ist, um der Wahrheit des Seins den Vorrang zu geben – so fasste es Papst Benedikt in seiner öffentlichen Katechese am 21. März 2007 zusammen. 

In der griechischen Philosophie zeigten sich die Samenkörner der Wahrheit, die sich dann in der geschichtlichem und personalen Offenbarung des Logos im Christentum entfalten konnten.


Europa ist auf drei antiken Hügeln gebaut: Akropolis, Kapitol und Golgata

Jerusalem
Jerusalem
Auf dieser Linie konnten spätere Theologen weiterarbeiten – etwa mit der Sentenz, nach dem Logos – also vernunftmäßig – zu handeln dem Wesen Gottes gemäß sei. 

Benedikt  charakterisiert in seiner Regensburger Rede die entsprechende Formulierung des oströmischen Kaiser Manuel II. von 1395  als wirklich aus dem inneren Wesen des christlichen Glaubens heraus (entstanden) und zugleich aus dem Wesen des Griechischen, das sich mit dem Glauben verschmolzen habe. 

Das Christentum hat zwar seinen Ursprung und wichtige Entfaltungen im Orient gehabt, so der Papst, aber seine geschichtlich entscheidende Prägung hat es in Europa gefunden. Die Begegnung des Christentums mit der griechischen Philosophie, zu der dann noch das Erbe Roms trat, habe die Wertegrundlagen Europas geschaffen. 

Das ist auch mit dem bekannten Diktum gemeint, nach dem Europa auf drei Hügeln aufgebaut ist: Die Akropolis steht für griechische Philosophie, das Kapitol für das römische Verwaltungs- und Rechtswesen und schließlich Golgatha bei Jerusalem als der Ort, von dem aus die christliche Erlösungsbotschaft der Nächstenliebe den Völkern der damaligen Welt eine befreiende Perspektive gegeben hat.


Die Maxime der Frühchristen: Prüft alles, das Gute behaltet!

Natürlich haben die frühchristlichen Kirchenväter von den griechischen Philosophen nicht alle und alles übernommen, sondern einen kritischen Sichtungsprozess vorgenommen nach dem Pauluswort:
Prüft alles, das Gute behaltet (1 Tess 5,21).
So etwa haben sie die von Platon geförderte Pädophilie verworfen oder die von Aristoteles legitimierte Abtreibung sowie Aussetzung von behinderten Kindern abgelehnt.

Insbesondere die Transzendenz-Lehren von Platon nahmen die Kirchenväter als Samenkörner der Wahrheit auf. Augustinus und weitere bedeutende Autoren der Kirchenväterzeit brachten den Neu-Platonismus in die Theologie ein. Im Mittelalter wurde schließlich von den christlichen Universitäten das Lehrwerk des Aristoteles’ zur Grundlage der scholastischen Lehr- und Lernmethode gemacht.

Die These Prechts vom Abstieg oder Abbruch der griechischen Philosophie durch das Christentum ist nicht zutreffend.


Verhackstückung von Judentum und Christentum

Der Zeitungsinterviewer fragt nach Prechts Abwertung des Christentum dann mit Recht: Warum wurde es dann ein Erfolg?

Der erste Satz seiner Antwort ist noch einigermaßen zustimmungsfähig: Das Christentum entwickelte den personellen Gottesbezug, das hat die Menschen extrem angesprochen. Doch im Weiteren zeigt der Schriftsteller, dass er an Bibel und Theologie wie mit einem Buschmesser herangeht, um sich Judentum und Christentum auf dem Hauklotz nach seinem  Gusto zurechtzuhacken. Hier das Ergebnis seiner lächerlichen Verhackstückung:

Im Frühchristentum  durfte man alle töten, die nicht an Gott glaubten. Bei den Juden war das anders. Es gab ja andere Götter neben Jahwe, die waren aber schwächer. Im Christentum gibt es nur den einen Gott, und wer nicht an den glaubt, der hat sein Leben verwirkt. Die Radikalität der Frühchristen findet man heute wieder bei denen, die sich für den IS rekrutieren lassen. Glücklicherweise hat sich das Christentum dann weiterentwickelt.


Sind Polytheisten friedlicher?

Die Ausführungen Prechts gehen erkennbar auf eine alte These von Jan Assmann aus dem Jahr 1997 zurück. Danach sei erst mit der mosaisch-jüdischen Herausstellung eines einzigartigen, wahren Gottes Intoleranz und religiös motivierte Gewalt in die bis dahin polytheistisch-friedliche Völkergeschichte eingezogen. Diese grobschlächtige These hat sich im bisherigen Diskurs als unzutreffend erwiesen, so dass Assmann sie in seinem neuen Buch Exodus teilweise revidieren musste. 

Tatsächlich glaubten die Hebräer, dass viele (Volks-) Götter existierten, aber Jahwe der stärkste wäre. Doch gerade der von Precht gelobte polytheistische Kontext des alt-israelischen Glaubens führte zu tödlichen Gewaltaktionen innerhalb des jüdischen Volkes: Nachdem ein Teil der Hebräer einen goldenen Stiergott angebetet hatten, töteten die Leviten auf Anweisung Moses etwa 3000 ihrer Volksgenossen (vgl. Ex 32,26). Damit ist Prechts These hinfällig, dass die Existenz anderer Götter neben Jahwe die Juden vor Tötungsaufrufen bewahrt hätte, während das monotheistische Christentum die Tötung von Nicht-Christen legitimiert hätte.


Unter dem monotheistischen Schöpfergott sind alle Menschen Geschwister

Erst in nachexilischer Zeit erkannte man in Israel den alleinigen Schöpfergott als Vater aller Menschen, die damit als Geschwister anzusehen sind. 

So zeigte sich erst in diesem spätjüdischen Glauben der Horizont eines völkerumfassenden Monotheismus, der im Messias Christus und seiner Lehre zur Vollendung kommt. Der ernsthafte Glaube an Herrschaft und Erbarmen Gottes für alle Menschen sowie die entsprechende Entgrenzung der Nächstenliebe führt aber – so die naheliegende Folgerung – bei den (monotheistischen) Gläubigen eher zur Minderung der Gewaltbereitschaft. 

In der Friedens- und Friedlichkeitslehre Christi sowie seinem Beispiel in Leben und Tod erweist sich Assmanns These (und seiner Epigonen) endgültig als falsch. Nebenbei ist durch die Ausführungen klar geworden, dass Prechts Behauptung von dem durchgehenden Polytheismus des  vorchristlichen Judentums augenscheinlich falsch ist.


Philosophische Halluzinationen

Bezüglich des Christentums stellt Precht drei aufeinander bezogene Thesen auf:
▪ Die Lehre des christlichen Eingottglaubens beinhalte, dass alle Nicht-Gläubigen ihr Leben verwirkt hätten.

Diese Behauptung ist eine philosophische Halluzination, bestenfalls ein Ausfluss von Assmanns falscher Grundthese. Jedenfalls findet sie in der christlichen Bibel keinerlei Anhaltspunkte oder Basis.

▪ Im Frühchristentum sei es die Lehre des Christentums gewesen, dass Nicht-Glaubende getötet werden dürften.

Bei den frühchristlichen Theologen, also den anerkannten Kirchenvätern, kann Precht keine Zeugen für seine These finden, dass Heiden wegen ihres Nicht-Glaubens an den einen Gott getötet werden dürften oder sollten. Und selbst wenn er eine marginale Quelle für diese These gäbe – Lehre der Kirche war das nicht. Warum behauptet ein Philosoph, der für sich und sein Werk Rationalität beansprucht, so einen unbelegbaren Unsinn? Da bleibt als Erklärung nur der seit Voltaires Zeiten verbreitete Kirchenhass übrig.


▪ Schließlich unterstellt Precht in diesem Zusammenhang mit der Formulierung Radikalität der Frühchristen, dass die Tötung von Nicht-Glaubenden von Christen praktiziert worden sei.

Anscheinend verwechselt Precht die im Römischen Reich verfolgten Christen mit den heidnischen Römern. Die haben während zweieinhalb Jahrhunderten periodisch Christen gefoltert und getötet, wenn die auf ihrem Nicht-Glauben an den Gott-Kaiser beharrten.

In späteren Zeitaltern nach dem Frühchristentum hat es tatsächlich Gewaltexzesse gegen Nicht-Gläubige von Seiten (un)christlicher Herrscher gegeben. Man denke etwa an die Aktionen von Karl dem Großen gegen die widerspenstigen Sachsen. Auch wenn solche Strafaktionen im Namen der Kirche durchgeführt wurden, so waren sie doch in keiner Weise aus und auf der Basis der biblisch-christlichen Lehre begründet.

Im 11. Jahrhundert hat es von Kirchenleuten begründete Gewaltanwendung gegen Ketzer gegeben. Aber die entsprechenden Legitimierungen der Theologen – etwa im Umfeld von Papst Gregor VII. – konnten ebenfalls nicht aus der christlichen Bibel hergeleitet werden, sondern bezogen sich ausschließlich auf altjüdische Gewaltaktionen, also gerade aus dem (polytheistischen) Kontext, der nach Precht glaubenstolerant und gewaltablehnend gewesen sein sollte. Auch diese historischen Beispiele zeigen somit, dass der Philosoph mit seiner frühchristlichen Radikalitätsthese völlig falsch liegt.

Unsinn zu Absurdität gesteigert

Als wenn der Unsinn nicht schon ein Übermaß erreicht hätte, steigert der Philosoph die Absurdität seiner Behauptung noch einmal mit dem Hinweis, dass sich die angebliche Radikalität der Frühchristen mit dem islamisch motivierten Terror der ISlamisten vergleichen ließe. Will Precht etwa die selbstmörderischen Kampf-“Märtyrer“ des Islamischen Staates mit den frühchristlichen Passions-Märtyrern gleichsetzen, die selbst unter Folter und Todesschlägen ihren Glauben bezeugten?

Precht will mit seinem Buch einen Überblick über die Philosophie-Geschichte geben. Dabei hat er sich beim Thema Judentum und Christentum selbst heillos verirrt und völlig den Überblick verloren.

Zumindest für die zitierten Passagen sollte man Precht das bekannte Diktum zurufen: Si tacuisses, philosophus mansisses – Wenn du (zu diesen Themen) geschwiegen hättest, wärest du (vielleicht) ein Philosoph geblieben.


Text: Hubert Hecker



Katholisches
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