Montag, 11. April 2016

Ampel oder Kenia, ob Kiwi oder Paprika, ob Obst oder Gemüse

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Am Wähler vorbei


Die politische Klasse macht es sich bequem. Im Großen wie im Kleinen. So wabert Gedankenfeigheit wie dichter Nebel über unserer Gesellschaft. Klaus von Dohnanyi, einer der bedeutendsten Köpfe der bundesdeutschen (Sozial-)Demokratie, hat den Begriff der Gedankenfeigheit geprägt. Er sprach von Mehltau, der sich über die Gesellschaft gelegt hat. Der Historiker Michael Wolffsohn nahm Dohnanyis Sorge auf. Für ihn sind Gedankenleere und Gedankenfeigheit das Resultat staatlich verordneter Volkserziehung.

Wer sich dieser Gedankenfeigheit entzieht, stößt schnell auf zwei Begriffe, die seit Monaten inflationär benutzt werden: „etabliert“ und „rechtspopulistisch“. Die beiden ehemals großen Parteien CDU und SPD – von denen man zumindest letztere kaum noch als Volkspartei bezeichnen kann – werden gerne in Presse, Funk und Fernsehen als „etablierte Parteien“ hofiert. Die Frage sei erlaubt: warum? Etabliert hat sich bei ihnen allenfalls ein unglaubliches Maß an Arroganz, Selbstgefälligkeit und Selbstzufriedenheit.


Bodenhaftung verloren

So hätte man annehmen sollen, daß sich CDU und SPD nach der gewaltigen Klatsche vom 13. März bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg in Demut ergehen. Doch das können sie gar nicht mehr. Weil sie jegliche Bodenhaftung verloren haben und nicht mehr wahrnehmen, was die Bürger bewegt.

Keine 24 Stunden nachdem Merkels CDU und Gabriels SPD vom Wähler abgestraft wurden, gaben die Parteioberen eine neue Losung heraus: Man werde jetzt den Rechtspopulisten den Kampf ansagen. Gemeint ist die Alternative für Deutschland. Was bitte schön ist an einer Partei populistisch, die genau das macht, was man von jeder Partei erwarten sollte? Nämlich die Sorgen der Bürger ernst zu nehmen. Das ist nicht populistisch. Das nennt man Demokratie.


Grün mit schwarzen Sprenkeln

Nun sitzen also die sogenannten Etablierten – zu denen sich selbstverständlich auch FDP und Grüne zählen – einmal mehr zusammen, um Ministerposten und Insignien der Macht unter sich aufzuteilen. Alles wie gehabt. Nur unter neuen, bunten Begriffen. Kenia, Paprika (gerne auch Ampel genannt) oder – ganz neu im Angebot – eine Koalition namens „Kiwi“: Grün mit schwarzen Sprenkeln.

Der CDU in Baden-Württemberg steht es natürlich frei, sich als Juniorpartner der Grünen zu verdingen. Sie sollte nur wissen, wer Koch und wer Kellner ist – und nicht länger so tun, als habe sie den geballten Wählerauftrag im Tornister. Gerade im Ländle ist es dieser Umgang mit der politischen Niederlage, der vielen Bürgern zu denken gibt. Die CDU inszeniert sich, als habe sie die Wahl nicht krachend verloren, sondern haushoch gewonnen.


Politbetrieb im alten Trott

Neben Rheinland-Pfalz fuhr die Union am besagten 13. März in Baden-Württemberg – ehemals beides Stammländer der Christdemokraten – ihr schlechtestes Ergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg ein. Erst gut drei Wochen ist das her, aber der Politbetrieb läuft schon wieder im alten Trott, als sei überhaupt nichts passiert.Der Beobachter kann sich nur wundern.
Man habe „eine regelrechte Lust aufs Mitregieren“, tönt es aus der Stuttgarter Parteizentrale, in der man sich staatstragend gibt: „Erst das Land, dann die Partei, dann die Posten“, verkündet CDU-Landeschef Thomas Strobl. Er überhört den süffisanten Unterton in den Worten des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann: „Niederlagen sind Auslöser für einen produktiven Neubeginn.“ Einen Neubeginn bei der CDU? Man sucht ihn vergebens.


Harmloser Juniorpartner CDU

Falls es noch niemandem aufgefallen ist: Kretschmann ist ein Politiker, der wie kein zweiter seiner Zunft extrem langsam spricht. Das hat zwei Vorteile: Zum einen reicht ihm ein Drittel des Textes, um eine ganze Stunde eines Vortrags zu füllen. Zum anderen bleibt ihm mehr Zeit zum Nachdenken. Kretschmann weiß, daß diese CDU kaum gefährlich werden kann. Im Gegenteil: Er hat die SPD schon plattgemacht, nun droht der Union im „Kretsche-Land“ das gleiche Schicksal. Juniorpartner einer Großen Koalition, das ist bislang noch keinem gut bekommen.

„Brücken und Kompromisse“ wolle er bauen, sagt Strobl, der CDU-Stratege. Das hatte Angela Merkel auch einmal vorgehabt. In ihrer Rede auf dem Leipziger Parteikonvent sprach sie von einem „geistigen Führungsanspruch“ und einer „programmatischen Kraft“, die Deutschland voranbringen werde. Das war im Jahre 2003. Heute blickt Deutschland unter einer Kanzlerin Merkel mehr denn je in eine ungewisse Zukunft.


Blaues Wunder für die „Etablierten“?

Und die CDU unter der Parteivorsitzenden Merkel ist munter dabei, noch mehr Kredit bei den Wählern zu verspielen. Laut der jüngsten Umfrage der Meinungsforscher vom Institut Emnid kommt die Union bundesweit gerade noch auf  33 Prozent. Zur Erinnerung: Bei der letzten Bundestagswahl waren es 41,5 Prozent. Der CSU-Veteran Edmund Stoiber nennt die Gründe: „Wenn Grüne und Linke die CDU loben, kann etwas nicht stimmen. Die Menschen wissen doch gar nicht mehr, wofür die Partei noch steht.“ Das gilt im übrigen auch für die SPD. Auch deren Schwindsucht schreitet weiter voran. Die Sozialdemokraten liegen – laut Emnid – bei mageren 22 Prozent.

Ob Ampel oder Kenia, ob Kiwi oder Paprika, ob Obst oder Gemüse: Bei allen Farbkombinationen, die mit Blick auf künftige Regierungsbündnisse in den Hinterzimmern der Macht diskutiert werden, fehlt ein entscheidender Farbklecks: Es ist das Hellblau der Alternative für Deutschland. Die Strategen der AfD sind gut beraten, sich aus alledem herauszuhalten. Am Ende wird ohnehin der Wähler entscheiden – und vielleicht schon bei der nächsten Bundestagswahl dafür sorgen, daß die „Etablierten“ ihr blaues Wunder erleben.

JF 15/16




Junge Freiheit
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