Oh wie bös‘ ist Panama!
von Roger Letsch
Was haben wir uns alle aufgeregt! Reiche Asoziale, Drogenbosse und
Politiker nutzen Offshore-Konten in Panama! Das konnte doch keiner
ahnen! Das scheue Reh namens Kapital liegt unter Palmen und wir sitzen
hier im kühlen Europa und schauen neidisch zu. Da haben unfähige
Regierungen seit Jahrzehnten Gesetze gemacht, die genau das möglich
machen und wir beklagen uns, dass die Möglichkeiten genutzt werden.
Firmen und windige Geschäftsleute nutzen also die bestehenden Gesetze konsequent aus
und gehen sogar noch ein Stückchen weiter? Eine Unverschämtheit! Das
ist ja, als würde man auf einer Straße 110 km/h fahren, wo doch nur 100
km/h erlaubt sind – weil man im Geist noch die Messtoleranz abzieht und
das Ergebnis mit Nieselregen multipliziert. Sowas macht doch keiner! Wir
doch nicht!
Bono und die irischen Steuergesetze
Kann sich noch jemand an den internationalen Aufschrei erinnern, als
bekannt wurde, dass die Band U2 des Weltverbesserers und
Afrikaschuldenerlassers Bono nur deshalb in Irland so wenig Steuern
zahlt, weil die Einnahmen über eine niederländische Holding laufen? Nun,
es gab keinen Aufschrei. Auch Apple, dessen Logo zwar einen ärmlichen
angeknabberten Apfel zeigt, nagt Offshore nicht eben am Hungertuch. Die
aufgelaufenen Gewinne würden in der Höhe einem kleinen Lande als BIP gut
zu Gesicht stehen. An diese offene Art der Steuervermeidung und
Gewinnverschiebung haben wir uns aber gewöhnt. Vielleicht, weil Bono
sozial so toll engagiert ist oder die Geräte mit dem Apfel so sexy sind?
Steuervermeidung ist wie Doping bei der Tour de France – jeder
strampelt nach seinen Möglichkeiten bzw. denen der beteiligten
Ärzte/Anwälte, aber alle strampeln mit. Und am Rand stehen die
begeisterten Fans und glauben, ihr Team sei das einzig Saubere. Jakob
Augstein, der begeisterte Fähnchenschwenker vom Team „Sozialismus“ sieht sich nun in seiner Meinung bestätigt, dass es nämlich der Kapitalismus ist, der Betrug dieser Art erst möglich macht und solches Verhalten fördert.
Nicht der Kapitalismus funktioniert so, sondern der Mensch
Aber nicht der Kapitalismus zeigt, wie er wirklich funktioniert,
sondern der Mensch – er wächst mit seinen Aufgaben und Möglichkeiten.
Warum sollte das ausgerechnet beim privaten finanziellem Vorteil anders
laufen? Ist es eine Frage des Gesellschaftssystems? Spielt es eine
Rolle, ob Sozialismus, Monarchie, Despotie, Plutokratie oder wie auch
immer geartete Demokratie – die Menschen handeln auf individueller Ebene
sehr ähnlich. Ein Blick in die Liste der bisher bekannten Personen des
Panama-Leaks zeigt denn auch einen interessanten Querschnitt der
„Menschen mit Möglichkeiten“, ganz unabhängig von der Regierungsform
oder dem Demokratisierungsgrad ihrer Herkunftsländer. Argentinien,
Ukraine, Russland, Saudi-Arabien, Island, Großbritannien…nicht ganz
leicht, hier einen gemeinsamen gesellschaftlichen Nenner zu finden.
Außer natürlich dem Dreiklang aus Gelegenheit, Geld und Goodfellas.
Fehlt ihnen auch nur eines davon, lieber Leser, sind Sie immun gegen
diese Form der Steuervermeidung. Aber seien Sie nicht zu stolz auf sich.
Sobald diese drei Dinge auch bei Ihnen beisammen sind, ist noch genug
Gelegenheit der Versuchung zu widerstehen, eine kleine „Firma“ in
Delaware oder den Virgin Islands zu gründen.
Hitler war nur in seiner asketischen Attitüde ein armer Mann, der vor
dem bayerischen Finanzamt sein Einkommen klein rechnete, Funktionäre
der Kommunistischen Partei Chinas stopfen sich genauso ungeniert die
Taschen voll wie europäische Staatslenker und Revolutionsführer in
Lateinamerika. Gier kennt keine Ideologie, sondern ist ein menschliches
Wesensmerkmal, wenn auch kein angenehmes und keines, das man sich selbst
gern attestiert.
Ausgerechnet die in letzter Zeit zurecht viel gescholtenen Medien im
nicht immer zurecht kritisierten Kapitalismus schafften es aber schon
wieder, die Decke über einem unappetitlichen Skandal wegzureißen. Der
Westen schafft es, internationale Netzwerke aus Journalisten zu bilden,
die den internationalen Netzwerken der Schattenwirtschaft, der
Kriminalität und der Steuerflucht etwas entgegensetzten können. Um die
mediale Öffentlichkeit in Staaten, die keine
demokratisch/kapitalistischen Systeme haben, ist es sehr viel schlechter
bestellt.
Eine Umma aus tugendhaften Menschen?
Augsteins gedanklicher Sozialismus funktioniert, wie der Islam sich
gern selbst sieht: als Umma aus tugendhaften Menschen, denen Blick auf
das „Große Ganze“ gerichtet ist. Frei von Begierden, frei von Fehlern,
überall Perfektion, nirgends Individualität. Kapitalismus und
Marktwirtschaft funktionieren dagegen eher wie der Katholizismus:
unterschiedlichste Menschen voller Schwächen, Fehler, Glaube, Unglaube,
Zweifel, Verrat und Vergebung.
Entscheiden Sie selbst, was besser funktioniert und die Realität
besser abbildet. Dann dürfen Sie vielleicht sogar mal etwas mehr Gas
geben, weil ihre Navi-App keine Blitzer meldet und bei der nächsten
Steuererklärung die Mehrwertsteuer aus den Park-Quittungen vom
Weihnachsteinkauf herausrechnen. Sie müssen ja nicht gleich zur Beichte
gehen.
Zuerst erschienen auf Roger Letschs Blog unbesorgt.de hier.
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