Montag, 4. April 2016

Wie eine Sozialindustrie sich ständig selbst legitimiert

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Warum es Afrikaner nervt, wenn alle sie retten wollen

von Volker Seitz

Paul Theroux hat geschrieben, dass Afrika „wie ein Magnet Mythomanen anzieht, Menschen, die die Welt von ihrem persönlichen Wert überzeugen wollen“ und " Besonders weiße Prominente, die sich in Afrika grosstun, lauern an allen Ecken und Enden.

Sein Schriftstellerkollege Binyavanga Wainaina aus Kenia schreibt: „Die Mieten in Nairobi sind jetzt so hoch wie in Europa. Sie dienen den zehntausend Kenialiebenden Leuten, die mit Kenialiebenden Projekten Kenianer und andere von ihrem Elend befreien wollen“ und weiter „Niemand wirklich, hat bisher gesehen, wie die Massai durch Tausende und Abertausende an Projekten reich oder nur gesund geworden sind. Aber die Massai können sich sicher sein, dass sie geliebt werden“.

Jean-Claude Shanda Tonme, Journalist aus Kamerun kritisiert westliche Helfer in der New York Times: «Mit ihrer Bereitschaft, in unserem Namen Lösungen vorzuschlagen, halten sie uns immer noch für Kinder, die sie retten müssen.» „Es gibt viele Leute, die versuchen, den Status quo in Afrika beizubehalten, da sie sonst ihre Daseinsberechtigung verlieren“, meint der ugandische Journalist Andrew Mwenda.

Eine TV-Satire in Kenia zieht den Jargon der Weltverbesserer durch den Kakao

Nachdem schon zahlreiche Afrikaner den Nutzen vieler Entwicklungsprojekte angezweifelt haben, wurde dieses Tabu endlich auch von der Unterhaltungsindustrie aufgegriffen. Eine TV-Satire in Kenia zieht den Jargon der Weltverbesserer und den naiven Idealismus durch den Kakao. Es geht bei „Aid to Aid“ um das Helfen um des Helfens willen, sonst um nichts.

Afrikaner als Mündel zu betrachten - ist die unausgesprochene Geschäftsgrundlage der allermeisten „Entwicklungshilfe-Projekte“.Die Liste der afrikanischen Kritiker klassischer Entwicklungshilfe ist in den letzten Jahren ständig gestiegen. Die immer wieder apostrophierte Augenhöhe zwischen Afrika und uns kennen die meisten Entwicklungshelfer nur aus den einschlägigen Fachgazetten. Zu den schärfsten Kritikern gehören Afrikaner wie der nigerianische Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka, Moeletsi Mbeki südafrikanischer Medien-Manager und Wirtschaftsjournalist, die Publizistin Akua Djanie aus Ghana, der nigerianische Querdenker Chika Onyeani („Capitalist Nigger“) sowie der ghanaische Wirtschaftswissenschaftler George Ayittey. Sie wenden sich gegen eine abhängige Opfer-und Bittstellerrolle.

Axelle Kabou kritisierte bereits Anfang der neunziger Jahre die Entwicklungshilfe-Industrie in ihrem Bestseller «Weder arm noch ohnmächtig» Die Ökonomin aus Kamerun war lange selbst im Business der Barmherzigkeit.

Marshallpläne ohne erkennbares Ergebnis

Afrikas Problem ist nicht ein Mangel an Geld meinen afrikanische Intellektuelle wie Francis Kpatindé, James Shikwati oder Axelle Kabou. Der bedeutende ghanaische Wirtschaftswissenschaftler G. Ayittey, der in Washington lehrt, hat ausgerechnet, dass seit 1960 die Summe von sechs Marshallplänen nach Afrika gepumpt wurde „ohne erkennbares Ergebnis“.

Dambisa Moyo aus Sambia spricht für viele, wenn sie sagt: „Einer der bedrückenden Aspekte des ganzen Hilfsfiaskos ist, dass Geber, Politiker, Regierungen, Akademiker, Wirtschaftswissenschaftler und Entwicklungsexperten im tiefsten Herzen wissen, dass Entwicklungshilfe nicht funktioniert, nicht funktioniert hat und nicht funktionieren wird“. Themba Sono, Wirtschaftswissenschaftler aus Südafrika, fürchtet, dass sich an der Entwicklungshilfe nichts ändert,„solange die großen Länder in Europa und anderswo selbst die Bedeutung der Entwicklungshilfe betonen“.

Der Kenianer Michael Otieno Oloo von „Tax Justice Africa“ fordert ein radikales Umdenken. Statt Entwicklungshilfe zu leisten, sollte Europa lieber seine Steuerschlupflöcher schließen. Dies würde den afrikanischen Staaten wirklich helfen. Er fordert: „Schafft die Schlupflöcher und die ungerechte Behandlung von globalen Konzernen ab, fördert ein System der fairen Besteuerung und ihr könnt euch eure Entwicklungshilfe eigentlich sparen.“ Er argumentiert, dass die Summe, die Entwicklungsländern durch illegale Finanzströme und Steuerflucht vorenthalten wird, viel höher sei als die Mittel, die diese Staaten jährlich durch großzügige Entwicklungshilfe erhalten.

Man muss den Afrikanern nicht helfen, es würde reichen sie in Ruhe zu lassen

„Man muss den Afrikanern nicht helfen, weil sie ja ach so arm sind. Es würde schon reichen, wenn man sie in Ruhe lässt. Entwicklungshilfeorganisationen haben in vielen Fällen das freie Unternehmertum zerstört und Afrikaner zu Bettlern gemacht. Wer braucht schon 20-jährige Freiwillige, die beim Brunnen graben helfen. Haben die schon jemals einen Brunnen in ihrer Heimat gegraben? Die wissen nicht einmal, wie ein Brunnen ausschaut.“ sagte kürzlich Jean-Marie Téno Filmemacher aus Kamerun. „Entwicklungshelfer halten politische und korrupte Systeme aufrecht, es ist eine Form des Spätkolonialismus“, meint der Autor und Regisseur Aristide Tarnagda aus Burkina Faso.

Entwicklungspolitiker wollen dies nicht hören und haben nichts hinzugelernt, denn die Armutsbekämpfung in Afrika hat nur rudimentäre Fortschritte erzielt. Den meisten Afrikanern südlich der Sahara geht es heute schlechter als am Ende der Kolonialzeit.

„Gut gemeint“ ist bekanntlich meist das Gegenteil von gut gemacht. Warum nehmen wir solche Kritik nicht ernst? Echte Reformen beginnen Selbstkritik und Reflexion, auch wenn dies unsere Politiker nicht gerne hören. Ich kann nur empfehlen, mit den kritischen Afrikanern statt mit Popstars zu diskutieren.

Mit Bono, Geldof und Grönemeyer ist die Entwicklungshilfe ein Teil der Unterhaltungsindustrie geworden. Sie spielen sich als Sprecher für Afrika auf und werden auch häufig von Regierungschefs eingeladen. Ich kenne einige Afrikaner, die die Vorschläge der Popstars amüsiert betrachten, weil diese eine poetische Vorstellungskraft verraten, die sich souverän über alle Tatsachen hinwegsetzt. So haben sie in einem Moment des Übermuts den „Verein zur Abwehr der Überschätzung von Prominentenbesuchen in Elendsvierteln“ gegründet.


Volker Seitz war 17 Jahre als Diplomat in Afrika tätig. Sein Buch "Afrika wird armregiert oder Wie man Afrika wirklich helfen kann" erschien 2014 bei dtv in 7. überarbeiteter und erweiterter Auflage.



Achse des Guten


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