Böhmermann und die Gürtellinie des ZDF-Geschmacks
Böhmermann soll Erdogans Gefühle verletzt haben. Gegen den Satiriker
wird ermittelt, der Intendant entschuldigt sich beim Türken. Dabei hat
das ZDF schon ganz andere Geschmacklosigkeit gebracht.
von
Henryk M. Broder
Die Kanzlerin
führt uns mit ruhig fester Hand in eine neue DDR, und was passiert? Es
wird darüber geschrieben. Das macht den Unterschied zur alten DDR aus.
Immerhin. Aber es gibt keinen Shitstorm, keinen Hashtag #notinmyname,
keine Protestresolution der Unterschriftsteller, die sich sonst über
alles aufregen. Auch Joko und Klaas schweigen.
Wir
lesen, ein Satiriker habe "ein Schmähgedicht" verfasst, das "unter die
Gürtellinie" zielte, er sei "über das Ziel hinausgeschossen", habe sich
"vergaloppiert", dabei "die Grenzen der Satire" überschritten, "Gefühle
verletzt" und – nicht zu fassen! – ein ausländisches Staatsoberhaupt
beleidigt. Einen Despoten, der seine eigene Bevölkerung drangsaliert,
Journalisten wegsperren lässt und seinen Gegnern und Kritikern mit
Entzug der türkischen Staatsbürgerschaft droht.
Dabei
ist jeder seiner Auftritte eine Beleidigung für alle Sinne. Und
ausgerechnet diesen Mann darf man nicht beleidigen, nur weil er grade an
der Südostflanke der EU die Drecksarbeit für uns erledigt?
Merkel zu Füßen eines Größenwahnsinnigen
Die
Kanzlerin hat den türkischen Ministerpräsidenten angerufen und sich
halb entschuldigt. Beide, die Kanzlerin und der Ministerpräsident,
hätten darin übereingestimmt, dass der im ZDF zuerst gesendete und dann aus der Mediathek gelöschte Beitrag "bewusst verletzend angelegt" gewesen sei. Ja, was denn sonst?
Sollte er
besser "unbewusst verletzend" gewesen sein? Wie der Auftritt von Claudia
Roth, in dem sie angeschickert erklärt, die Türkei sei ihre beste
"Freundin" und sie liebe die Probleme in der Türkei?
Es ist ein in der Geschichte der Bundesrepublik einmaliger Vorgang. Als im Jahre 2010 Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab"
erschien, wurde es – ungelesen – von der Kanzlerin als "diffamierend"
und "nicht hilfreich" abqualifiziert. Nun geht sie einen großen Schritt
weiter: Sie legt sich einem größenwahnsinnigen Staatsoberhaupt zu Füßen
und fällt einem deutschen Satiriker in den Rücken.
Einen schwäbischen Bäckermeister hätte keiner angerufen
Was
hat sie bei ihrem Amtseid geschworen? Dass sie ihre Kraft "dem Wohle
des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm
wenden" werde, so wahr ihr Gott helfe? Oder war es etwas anderes? Dass
sie die Ehre von Diktatoren beschützen und darauf achten werde, dass sie
nicht Opfer von "Schmähkritik" werden?
Inzwischen
hat auch der Intendant des ZDF, Thomas Bellut, mit dem türkischen
Botschafter in Berlin telefoniert und dabei "sein Bedauern darüber zum
Ausdruck gebracht, dass der Beitrag Gefühle von Zuschauerinnen und
Zuschauern verletzt hat". Das kann unmöglich so stimmen. Wollte der Chef
des ZDF darauf achten, dass die Gefühle von Zuschauerinnen und
Zuschauern nicht verletzt würden, müsste er das ZDF-Programm radikal
zusammenstreichen.
Thomas Bellut
bedauert nicht, dass ein ZDF-Beitrag die Gefühle von Zuschauerinnen und
Zuschauern verletzt hat, er bedauert, dass der Beitrag das Gefühl eines
Mannes verletzt hat, der sich über alle Kritik erhaben glaubt. Hätte es
irgendeinen Bäckermeister aus dem Schwäbischen erwischt, wäre das dem
ZDF-Intendanten egal gewesen, aber es war der türkische Präsident, der
auch im Fernsehrat des ZDF seine Fürsprecher hat.
Verletzte Gefühle hin, verletzte Gefühle her, in einem vergleichbaren Fall hat Thomas Bellut anders reagiert.
Mainz, wie es auf Kosten Toter singt und lacht
In
der ZDF-Produktion "Mainz, wie es singt und lacht" trat auch ein
Kabarettist namens Lars Reichow auf. Kurz zuvor war in Polen ein neues
Parlament gewählt worden, wozu Reichow in seinem "Fastnachtsjournal"
Folgendes ausführte:
"Selbst gewähltes Pech hatten auch unsere Nachbarn in Polen – ich weiß nicht, was die vorher genommen hatten, Wodka umsonst in der Wahlkabine oder was – jetzt sind sie aufgewacht mit einer Regierung, angeführt von der national-konservativen PiS Partei (die Abgeordneten nennen sich vermutlich PiS-ser). Der mächtigste Mann in Polen ist Jarosław Kaczyński, ein eineiiger Zwilling – das andere Ei ist vor ein paar Jahren abgestürzt."
Mit
dieser Bemerkung bezog sich Reichow auf den Absturz einer Maschine der
polnischen Armee am 10. April 2010, bei dem alle 96 Passagiere ums Leben
kamen, darunter auch der polnische Staatspräsident Lech Kaczyński,
Zwillingsbruder von Jarosław Kaczynski, der heute die Partei "Prawo i
Sprawiedliwość" (abgekürzt PiS) führt, "Recht und Gerechtigkeit".
Während der Vortrags von Lars Reichow saß Thomas Bellut im Publikum,
hatte eine Narrenkappe auf und amüsierte sich wie Bolle.
Ein bisschen Spaß darf sein
Nun
ist die "Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener" auch ein
Straftatbestand, § 189 StGB, und als solche konnte die überaus
geschmackvolle Bemerkung von Reichow verstanden werden, wobei ihm das
Gericht vermutlich eine saisonmäßig bedingte verminderte
Zurechnungsfähigkeit zugute gehalten hätte.
Weil
sich aber weder der polnische Präsident noch der polnische Botschafter
daraufhin beim ZDF gemeldet hat, sah auch Thomas Bellut keinen Grund,
sein Bedauern über verletzte Gefühle zu artikulieren. Zuschauer, die
sich über diese Geschmacklosigkeit beschwerten, wurden mit einem kurzen
Brief beschieden.
"Als Intendant
erlebt man vielfältige Termine und Herausforderungen und dazu gehört
auch der Besuch von 'Mainz bleibt Mainz'. Trotz meiner Anwesenheit lag
es jedoch nicht in meiner Macht, alle dort live geäußerten Reime – wie
geschmackvoll oder geschmacklos sie auch immer waren – auszuschließen.
Ich teile aber Ihre Auffassung, dass die von Ihnen zitierte Passage zu
den auch im Rahmen einer Fastnachtsveranstaltung wenig geglückten
Äußerungen gehörte."
Weiter mochte der Intendant nicht gehen. Denn für das ZDF sind alle Präsidenten gleich. Nur manche sind ein wenig gleicher.
Die Welt
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