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Parteienkartell untergräbt sich selbst
Zur Abwehr der AfD scheint bald jede Koalition möglich – selbst die von CDU und Linkspartei
08.04.16
Die sich in Baden-Württemberg anbahnende Koalition zwischen Grünen und CDU wird häufig als „Modell für die Zukunft“ bezeichnet. Der wirkliche Vorgriff auf eine kommende politische Entwicklung könnte indessen demnächst in Sachsen-Anhalt Wirklichkeit werden.
In dem mitteldeutschen Bun-desland läuft es nach einem fulminanten Erfolg der AfD und spektakulären Verlusten der beiden Volksparteien CDU und SPD nämlich auf eine sogenannte Kenia-Koalition hinaus. Benannt nach den Landesfarben des afrikanischen Staates, würde in einem solchen Bündnis erstmals Schwarz, Rot und Grün koalieren und eine Landesregierung bilden.
Nötig wird die ungewöhnliche Dreierkoalition aus Sicht von SPD und CDU, weil es dem Politneuling AfD gelungen ist, in Sachsen-Anhalt auf Anhieb mit rund 24 Prozent zur zweitstärksten Kraft hinter der CDU aufzusteigen. Weil bei der Landtagswahl die schwarz-rote Koalition von Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) ihre Mehrheit verloren hat, ist ein Weiterregieren nur noch mit den Grünen oder aber der Linken möglich.
Naheliegend ist vor dem Hintergrund der sich anbahnenden Kenia-Koalition die Frage, welche Bündnisse man notfalls in den Parteizentralen von SPD und CDU zimmern wird, wenn die Zustimmung bei den Wählern noch weiter auf Talfahrt geht und parallel die AfD als stärkste Kraft aus Wahlen hervorgeht. Auf der Tagesordnung könnte diese Frage bereits in wenigen Monaten stehen. Aus Sicht der etablierten Parteien, die Linkspartei inklusive, bahnt sich nämlich im September bei den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern ein neues Desaster an.
Schon eine im Februar durchgeführte Umfrage sah die CDU in Mecklenburg-Vorpommern unter der 30-Prozent-Marke, die SPD lag nur noch bei 22 Prozent. Die Grünen müssten mit fünf Prozent um ihren Wiedereinzug ins Parlament bangen. FDP und NPD wären mit jeweils vier Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert, für die Linke wurden 19 Prozent prognostiziert. Die AfD lag da bereits bei 16 Prozent.
Inzwischen hat sich die damals ablesbare Tendenz nochmals verstärkt: Speziell die Union ist bei einer jüngst veröffentlichten Emnid-Umfrage auf den tiefsten Wert seit 2012 gefallen. Der AfD wiederum haben die jüngsten Wahlsiege am 13. März nochmals Auftrieb gegeben. Umgerechnet auf die Verhältnisse in Mecklenburg-Vorpommern kündigt sich den Altparteien damit ein Debakel an.
Nicht auszuschließen ist, dass die AfD ihr in Sachsen-Anhalt erzieltes Spitzenergebnis im Norden noch übertreffen kann, SPD, CDU und Linke aber einen noch tieferen Absturz erleben. Verpassen obendrein die Grünen den Einzug in den Schweriner Landtag, steht nicht einmal eine schwarz-rot-grüne Option offen. Nicht auszuschließen ist dann wohlmöglich, dass die Wähler die Premiere einer weiteren Farbenkombination erleben.
Erst vor Kurzem hat der „Linke“-Spitzenpolitiker Gregor Gysi mit einem Appell an die Union und seine eigene Partei überrascht, sie sollten sich für Regierungsbündnisse öffnen. Die Erfolge „rechtspopulistischer“ Parteien in Europa und in Deutschland erforderten, „dass alle springen“, so Gysis Begründung. Momentan mag der Vorstoß noch sehr fremd wirken. Halten die Wahlerfolge der AfD aber an, könnte Gysis Idee früher oder später Realität werden, wie die einst undenkbar erscheinenden schwarz-grünen Koalitionen.
Zu rechnen ist sogar damit, dass die aktuell zusammengezimmerten Bündnisse sehr stabil sein werden. Erfahrungsgemäß führt die Angst vor einem Platzen der Koalition dazu, dass untereinander eher moderate Töne angeschlagen werden. Die Furcht, dass bei vorzeitigen Neuwahlen die Alternative für Deutschland noch stärker wird, dürfte diesen Effekt noch verstärken.
Stabilisierend auswirken kann sich zudem ein anderer
Faktor. In der Regierungszeit von Angela Merkel hat es eine weitere
Sozialdemokratisierung der CDU gegeben. Sieht man von den Sonderfällen
CSU und FDP einmal ab, haben sich die etablierten Parteien in ihrer
Programmatik inzwischen so stark angenähert, dass sie sich oftmals nur
noch in Details oder Fragen der Umsetzung unterscheiden. Resultat ist
eine weit verbreitete Parteienverdrossenheit samt steigender Zahl von
Nichtwählern.
Nur auf den ersten Blick scheinen die etablierten Parteien mit ihren Koalitionsspielen einen Königsweg gefunden zu haben, um trotz schwindender Zustimmung weiter an der Regierungsmacht festhalten zu können. Tatsächlich dürfte sich diese Form der Machtsicherung als kontraproduktiv erweisen.
Es besteht die Gefahr, dass das politische System der Bundesrepublik in den kommenden Jahren zunehmend verkrustet und erstarrt. Gleichzeitig droht die Verklumpung der etablierten Parteien zu einem Regierungskartell, ein hohes Frustrationspotenzial auf die Kernwählerschaft zu entfalten und die AfD abermals zu stärken.
Norman Hanert
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