"… darunter auch unschuldige Frauen und Kinder!" Oder: Gibt es auch schuldige Opfer?
„Die Sonne strahlt, der Himmel lacht,der Yussuf hat sich umgebracht.Den Sprengstoffgürtel festgeschnürt,so ist er fröhlich explodiert.“
Diesen netten Vierzeiler hat uns der beliebte Kabarettist Dieter
Nuhr, der laut Gerichtsentscheidung ungestraft als „Hassprediger“
bezeichnet werden darf, vor Jahren mal geschenkt.
Wieder hat ein Selbstmordattentäter irgendwo zugeschlagen. Leider ist
Yussuf dabei nicht alleine explodiert, sondern hat 40 Menschen mit in
den Tod gerissen, „darunter auch Frauen und Kinder“, wie die
Nachrichten häufig melden. An diesem Satz bleibe ich immer hängen. Warum
ist das erwähnenswert? Wenn bei Kriegshandlungen Zivilisten, und das
sind in erster Linie Frauen und Kinder, getötet werden, muss das
hervorgehoben werden, da Angriffe auf ihr Leben nach der Genfer
Konvention „jederzeit und jedenorts verboten“ sind (dass dies auch für
weitere Personen gilt, zum Beispiel „Mitglieder der bewaffneten
Streitkräfte, welche die Waffen gestreckt haben“, soll in diesem
Zusammenhang unbeachtet bleiben).
Aber Terroranschläge sind keine Kriegshandlungen, mag George W. Bush
auch von „war on terror“ gesprochen haben. Nicht einmal die deutschen
Soldaten in Afghanistan befanden sich nach offizieller Version im Krieg,
obwohl sie Panzer und Maschinengewehre einsetzten. Was steckt also
hinter dieser Formulierung, die auch dann verwendet wurde, wenn die
baskische ETA oder die irische IRA einen Anschlag mit entsprechenden
Folgen verübt hat?
Natürlich kann man dahinter journalistische Gedankenlosigkeit
vermuten und zur Tagesordnung übergehen. Es könnte aber auch der Gedanke
mitschwingen, dass die Männer diesen Tod eventuell doch irgendwie
verdient hätten, die Frauen und Kinder aber auf keinen Fall. Oder gar,
dass es um Männer nicht so schade sei, während der Tod von Frauen und
Kindern den „Aufstand der Anständigen“ hervorruft.
Und Journalisten
(beiderlei Geschlechts natürlich) gehören auf jeden Fall zu den
Anständigen. Erstaunlich nur, dass Alice Schwarzer sich hierzu noch
nicht geäußert hat (oder hat sie doch?). Und dass die Grünen in solchen
Meldungen keine Diskriminierung der Frauen sehen, da sie offenbar allein
aufgrund ihres Geschlechts erwähnt werden.
Besonders brisant wird es, wenn der Satz durch das Adjektiv
„unschuldig“ ergänzt wird, was ab und zu auch zu hören oder zu lesen
ist. So sind bei den „unverhältnismäßigen“ Angriffen der Israelis auf
Gaza-Stadt nicht nur Hamas-Kämpfer, sondern auch „unschuldige Frauen und
Kinder“ getötet worden. Mein Vorschlag, stattdessen von „unbeteiligten“
Personen zu sprechen, ist nicht aufgegriffen worden.
Sicher könnte man darstellen, wie viele der bei einem Anschlag
getöteten Menschen Männer, Frauen und Kinder waren. Noch nie ist aber
jemand auf die Idee gekommen anzugeben, wie viele der Kinder Jungen und
Mädchen waren.
Ich werde daher das Gefühl nicht los, dass die Verfasser solcher
Meldungen die Unterscheidung der Opfer nach Männern, Frauen und Kinder
doch für bedeutsam halten, das Geheimnis, warum sie das tun, aber nicht
preisgeben. Oder fehlt mir einfach die nötige Sensibilität in dieser
Sache? Vielleicht folgt bald der sinnlosen Unterscheidung von
„Mitgliedern und Mitgliederinnen“ (im Ernst, Fundstellen können bei mir
nachgefragt werden) die zwischen „Opfern und Opferinnen“. In ihrer
überbordenden Humanität wären dazu sicher einige fähig, damit auch
nicht die geringsten Zweifel bestehen, dass sie zu den Guten gehören.
Also, liebe Historikerinnen und Historiker, fangt an, die 60
Millionen Toten des Zweiten Weltkriegs und die 6 Millionen Opfer des
Holocausts in Männer, Frauen und Kinder aufzuteilen. Und wem das immer
noch nicht genügt, kann auch noch zwischen „Schuldigen“ und
„Unschuldigen“ unterscheiden.
Nachlese
Gefunden bei Volker Pispers: Unglücksmeldung: ‚22 Tote, darunter Frauen und Kinder.' Warum ist das wichtig? Ich warte, dass es mal heißt: ‚10 Tote, zum Glück nur Männer!'
Rainer Grell
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