Am Wähler vorbei
Die
politische Klasse macht es sich bequem. Im Großen wie im Kleinen. So
wabert Gedankenfeigheit wie dichter Nebel über unserer Gesellschaft.
Klaus von Dohnanyi, einer der bedeutendsten Köpfe der bundesdeutschen
(Sozial-)Demokratie, hat den Begriff der Gedankenfeigheit geprägt. Er
sprach von Mehltau, der sich über die Gesellschaft gelegt hat. Der
Historiker Michael Wolffsohn nahm Dohnanyis Sorge auf. Für ihn sind
Gedankenleere und Gedankenfeigheit das Resultat staatlich verordneter
Volkserziehung.
Wer sich dieser Gedankenfeigheit entzieht, stößt schnell auf zwei
Begriffe, die seit Monaten inflationär benutzt werden: „etabliert“ und
„rechtspopulistisch“. Die beiden ehemals großen Parteien CDU und SPD –
von denen man zumindest letztere kaum noch als Volkspartei bezeichnen
kann – werden gerne in Presse, Funk und Fernsehen als „etablierte
Parteien“ hofiert. Die Frage sei erlaubt: warum? Etabliert hat sich bei
ihnen allenfalls ein unglaubliches Maß an Arroganz, Selbstgefälligkeit
und Selbstzufriedenheit.
Bodenhaftung verloren
So hätte man annehmen sollen, daß sich CDU und SPD nach der
gewaltigen Klatsche vom 13. März bei den Landtagswahlen in
Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg in Demut ergehen.
Doch das können sie gar nicht mehr. Weil sie jegliche Bodenhaftung
verloren haben und nicht mehr wahrnehmen, was die Bürger bewegt.
Keine 24 Stunden nachdem Merkels CDU und Gabriels SPD vom Wähler
abgestraft wurden, gaben die Parteioberen eine neue Losung heraus: Man
werde jetzt den Rechtspopulisten den Kampf ansagen. Gemeint ist die
Alternative für Deutschland. Was bitte schön ist an einer Partei
populistisch, die genau das macht, was man von jeder Partei erwarten
sollte? Nämlich die Sorgen der Bürger ernst zu nehmen. Das ist nicht
populistisch. Das nennt man Demokratie.
Grün mit schwarzen Sprenkeln
Nun sitzen also die sogenannten Etablierten – zu denen sich
selbstverständlich auch FDP und Grüne zählen – einmal mehr zusammen, um
Ministerposten und Insignien der Macht unter sich aufzuteilen. Alles wie
gehabt. Nur unter neuen, bunten Begriffen. Kenia, Paprika (gerne auch
Ampel genannt) oder – ganz neu im Angebot – eine Koalition namens
„Kiwi“: Grün mit schwarzen Sprenkeln.
Der CDU in Baden-Württemberg steht es natürlich frei, sich als
Juniorpartner der Grünen zu verdingen. Sie sollte nur wissen, wer Koch
und wer Kellner ist – und nicht länger so tun, als habe sie den
geballten Wählerauftrag im Tornister. Gerade im Ländle ist es dieser
Umgang mit der politischen Niederlage, der vielen Bürgern zu denken
gibt. Die CDU inszeniert sich, als habe sie die Wahl nicht krachend
verloren, sondern haushoch gewonnen.
Politbetrieb im alten Trott
Neben Rheinland-Pfalz fuhr die Union am besagten 13. März in
Baden-Württemberg – ehemals beides Stammländer der Christdemokraten –
ihr schlechtestes Ergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg ein. Erst gut drei
Wochen ist das her, aber der Politbetrieb läuft schon wieder im alten
Trott, als sei überhaupt nichts passiert.Der Beobachter kann sich nur
wundern.
Man habe „eine regelrechte Lust aufs Mitregieren“, tönt es aus der
Stuttgarter Parteizentrale, in der man sich staatstragend gibt: „Erst
das Land, dann die Partei, dann die Posten“, verkündet CDU-Landeschef
Thomas Strobl. Er überhört den süffisanten Unterton in den Worten des
grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann: „Niederlagen sind
Auslöser für einen produktiven Neubeginn.“ Einen Neubeginn bei der CDU?
Man sucht ihn vergebens.
Harmloser Juniorpartner CDU
Falls es noch niemandem aufgefallen ist: Kretschmann ist ein
Politiker, der wie kein zweiter seiner Zunft extrem langsam spricht. Das
hat zwei Vorteile: Zum einen reicht ihm ein Drittel des Textes, um eine
ganze Stunde eines Vortrags zu füllen. Zum anderen bleibt ihm mehr Zeit
zum Nachdenken. Kretschmann weiß, daß diese CDU kaum gefährlich werden
kann. Im Gegenteil: Er hat die SPD schon plattgemacht, nun droht der
Union im „Kretsche-Land“ das gleiche Schicksal. Juniorpartner einer
Großen Koalition, das ist bislang noch keinem gut bekommen.
„Brücken und Kompromisse“ wolle er bauen, sagt Strobl, der
CDU-Stratege. Das hatte Angela Merkel auch einmal vorgehabt. In ihrer
Rede auf dem Leipziger Parteikonvent sprach sie von einem „geistigen
Führungsanspruch“ und einer „programmatischen Kraft“, die Deutschland
voranbringen werde. Das war im Jahre 2003. Heute blickt Deutschland
unter einer Kanzlerin Merkel mehr denn je in eine ungewisse Zukunft.
Blaues Wunder für die „Etablierten“?
Und die CDU unter der Parteivorsitzenden Merkel ist munter dabei,
noch mehr Kredit bei den Wählern zu verspielen. Laut der jüngsten
Umfrage der Meinungsforscher vom Institut Emnid kommt die Union
bundesweit gerade noch auf 33 Prozent. Zur Erinnerung: Bei der letzten
Bundestagswahl waren es 41,5 Prozent. Der CSU-Veteran Edmund Stoiber
nennt die Gründe: „Wenn Grüne und Linke die CDU loben, kann etwas nicht
stimmen. Die Menschen wissen doch gar nicht mehr, wofür die Partei noch
steht.“ Das gilt im übrigen auch für die SPD. Auch deren Schwindsucht
schreitet weiter voran. Die Sozialdemokraten liegen – laut Emnid – bei
mageren 22 Prozent.
Ob Ampel oder Kenia, ob Kiwi oder Paprika, ob Obst oder Gemüse: Bei
allen Farbkombinationen, die mit Blick auf künftige Regierungsbündnisse
in den Hinterzimmern der Macht diskutiert werden, fehlt ein
entscheidender Farbklecks: Es ist das Hellblau der Alternative für
Deutschland. Die Strategen der AfD sind gut beraten, sich aus alledem
herauszuhalten. Am Ende wird ohnehin der Wähler entscheiden – und
vielleicht schon bei der nächsten Bundestagswahl dafür sorgen, daß die
„Etablierten“ ihr blaues Wunder erleben.
JF 15/16
Junge Freiheit
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