Samstag, 29. Januar 2011

Christen wegen "verderblichen Einflusses" verhaftet

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Menschenrechtler sprechen von der größten Verfolgungswelle im Iran seit Langem. UN verlangen Aufklärung, Deutschland hält sich mit Kritik bedeckt.
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70 evangelische Christen sollen allein in den Weihnachtstagen verhaftet, verschleppt, misshandelt und in einzelnen Fällen auch angeklagt worden sein.


Heiner Bielefeldt, UN-Sonderbeauftragter für Religionsfreiheit, wartet auf eine Antwort der iranischen Regierung. Er verlangt im Namen der Vereinten Nationen Aufklärung über die Massenverhaftung von Christen im Iran in den letzten Wochen. 60 Tage haben die iranischen Behörden Zeit, auf seine Fragen zu reagieren. Menschenrechtsorganisationen wie Open Doors oder Human Rights Watch sprechen von der größten Verfolgungswelle im Iran seit Langem. 70 evangelische Christen sollen in den Weihnachtstagen verhaftet, verschleppt, misshandelt und in einzelnen Fällen auch angeklagt worden sein, heißt es

Das Center for Religious Freedom am Hudson Institute in Washington schätzt die Zahl der Verhafteten sogar auf 600. Die meisten würden ohne juristischen Beistand festgehalten und dürften auch nicht mit ihren Familien Kontakt aufnehmen. Als Grund für die Verhaftung habe der Generalgouverneur der Provinz Teheran wissen lassen, die Christen seien wegen ihres „verderblichen Einflusses“ festgesetzt worden. Morteza Tamadan kündigte an, weitere Personen festnehmen zu lassen. 

Der „verderbliche Einfluss“ hat einen konkreten Namen: Missionierung. Evangelikalen Christen, die sich meist in unabhängigen Hauskirchen organisieren, wird vorgeworfen, sie betrieben eine aggressive Missionstätigkeit und missachteten dabei auch das Apostasie-Verbot der Scharia. Die Abkehr vom Islam oder die Konversion eines Muslims zu einem anderen Glauben ist im Iran mit schweren Strafen bis hin zur Todesstrafe bedroht. Jüngstes Beispiel: Im Dezember weigerte sich der Oberste Gerichtshof im Iran, das Todesurteil gegen einen Pastor aufzuheben, obwohl es kein entsprechendes Gesetz gibt. Der Richter begründete seine Entscheidung damit, im Falle einer Lücke im Strafgesetzbuch sei es ihm erlaubt, sich auf sein „persönliches Wissen“ zu stützen. Mit ähnlich willkürlicher Argumentation wurden auch früher schon Konvertiten hingerichtet. 


Nennenswerte Interventionen gegen die jüngsten antichristlichen Repressionen im Iran hat es bislang nicht gegeben. Auch die deutsche Regierung hält sich bedeckt. Der Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechte, der FDP-Politiker Markus Löning, lässt erklären, der Regierung seien derzeit die Hände gebunden. „Wir sind in großer Sorge um die im Iran festgehaltenen deutschen Journalisten und müssen uns deshalb in dieser Sache zurückhalten.“ Immerhin plant das Hochkommissariat für UN-Menschenrechte, im Sommer Sonderberichterstatter nach Teheran zu schicken, um die Lage der Menschenrechte dort zu sondieren. „Da dürften dann auch die Probleme der christlichen Minderheiten zur Sprache kommen“, hofft Bielefeldt. 

Bielefeldt hält das bisherige iranische Verständnis von Mission für irreführend. Für die Behörden seien bereits Ankündigungen von Gottesdiensten oder geöffnete Kirchentüren Akte der Mission. Auch der Verkauf oder Vertrieb von Bibeln würde so interpretiert. Diese Handlungen seien jedoch von Artikel 18 der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen gedeckt, die auch der Iran unterzeichnet habe. Allerdings sei die Religionsfreiheit als Menschenrecht in der iranischen Verfassung nicht verankert.

Das Vorgehen der Behörden gegen die freikirchlichen Christen spielt sich nach dem immer gleichen Muster ab: Es beginnt mit anonymen telefonischen Morddrohungen, dann folgen Überwachungsaktionen und schließlich Razzien bei Treffen von evangelikalen Hausgemeinden. Bei den Verhören wird geschlagen und gefoltert. Auf die „Geständnisse“ erfolgen neue Verhaftungen. Konvertiten werden unter Druck gesetzt, Erklärungen zu unterschreiben, in denen der Glaubenswechsel widerrufen wird, auch wenn er Jahre zurückliegt. Äußerst hohe Kautionen, die nur von der Großfamilie aufzubringen sind, erzeugen einen Druck, der es den Betroffenen nahelegt, zum Islam zurückzuwechseln. 

Für Max Klingberg, Iran-Experte und Mitarbeiter der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte, sind die sich häufenden Repressionen ein Zeichen von wachsender Nervosität: „Es gibt mehrere Tausend Konvertiten im Iran. Immer mehr Iraner entdecken das Christentum als Alternative zum ultraorthodoxen Islam iranischer Prägung.“ Seit Jahren wüchsen die Untergrundkirchen, andererseits seien nirgendwo in der arabischen Welt die Moscheen so leer wie in den Städten des Iran. Die Tendenz zum Säkularismus sei besonders in den Mittelschichten spürbar. Die Macht von Präsident Mahmud Ahmadinedschad stütze sich auf die traditionell gläubigen Unterschichten. Mit seinem gewalttätigen Vorgehen gegen religiöse Minderheiten wolle er vor allem „die arabische Straße“ erreichen und ein Exempel statuieren. 

Interesse für das Christentum durch Internet geweckt

In amtlichen Verlautbarungen wird in letzter Zeit vor einer „kulturellen Invasion des Feindes“ gewarnt. Tatsächlich wird das Interesse für das Christentum immer mehr auch durch das Internet, durch ausländische Rundfunk- und TV-Sender geweckt. Vor allem der christliche Fernsehsender Sat-7, der seit 1995 in arabischer Sprache berichtet, übe einen nicht unerheblichen Einfluss aus, meint der Theologe Thomas Schirrmacher. Er vertritt in Deutschland die Kommission für Religionsfreiheit der evangelischen Weltallianz. „Sat-7 wendet sich nur an Christen, wird aber auch von immer mehr Muslimen eingeschaltet. Das ist umso erstaunlicher, weil es sich meist um rein seelsorgerliche Beiträge handelt.“ 

Dass die freikirchlichen, sehr aktiven Christen kritisch betrachtet werden, ist kein Zufall. Im Iran ist der Islam Staatsreligion. Dementsprechend legt Artikel 4 der Verfassung fest, dass sämtliche Gesetze auf islamischen Grundsätzen, also auf der Scharia, beruhen müssen. Dennoch räumt Artikel 13 den im Iran lebenden Christen wie auch Juden und Zoroastriern Minderheitenrechte ein. Als „Dhimmi“ – unter Schutz gestellte Personen – sind sie aber Bürger zweiter Klasse.

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