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BamS-Reporterin Katharina Nachtsheim lief einen Tag lang lief mit einer Burka durch Berlin. Ein Selbsterfahrungsbericht zur aktuellen Diskussion.
Ich werde rot, aber niemand sieht es. Ich will nicht mehr, dass die Menschen mich anstarren, ungläubig und geschockt. Ich will eine weite Welt, und nicht mehr nur diesen beengten Blick.
Mein Sichtfeld ist eingeschränkt: 4,5 Zentimeter breit und 11 Zentimeter lang, der Blick geht nur geradeaus. Was links und rechts von mir passiert, bekomme ich nicht mehr mit. Die Fläche über meinen Augen ist aufgeteilt in 164 kleine Löcher, dazwischen hellblaue Gitterfäden.
Ich spüre, wie die Wut in mir aufsteigt. Wütend. Wut, weil ich jedes Körpergefühl verloren habe und mein Selbstbewusstsein. Weil ich eingesperrt bin unter einem Stück Stoff, unter dem es stickig ist.
Die U-Bahn fährt ein, ich bleibe auf der Bank sitzen. Ich kann nicht mehr in den Wagen steigen, will nicht mehr in diesem Gewand durch Berlin fahren. Ich will nur noch raus, raus aus der Burka.
Es wurde viel geschrieben und geredet diese Woche über die Vollverschleierung nachdem Belgien das Tragen von Burkas verboten hatte. Und Sivana Koch-Mehring (39, FDP), Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, beschrieb die Burka in der vergangenen Ausgabe der BILD am SONNTAG als massiven Angriff auf die Rechte der Frau und als „mobiles Gefängnis“.
Ist sie das wirklich? Ich wollte es wissen, wie es sich anfühlt, unter Stoff gefangen zu sein. Wie die Menschen in Deutschland, auf eine Fraureagieren, die für sich entschieden hat, aus religiösen Gründen, ihr Gesicht und ihren Körper nicht zu zeigen.
Im Internetshop finde ich eine hellblaue Burka, asymmetrisch geschnitten, mit eingenähter flacher Kappe. Hinten fast bodenlang, vorne reicht sie bis zu den Handgelenken. Macht 49 Euro, der passende Rock kostet 10 Euro. „Dieses Model wird traditionell in Afghanistan getragen“, schreibt der Verkäufer auf seiner Website.
Da eine Burka-Trägerin in der Regel nur in Begleitung eines Mannes das Haus verlässt, wird mein Kollege Ufuc während des Selbstversuches meinen Ehemann spielen. Ufuc ist in Deutschland geboren, seine Eltern sind Türken. Er selbst bezeichnet sich als Berliner und hat ordentlich Bammel: „Für die Menschen bin ich dann der böse Mann, der seine Frau in die Burka zwingt“, glaubt er.
Als ich mich das erste Mal vollverschleiert im Spiegel ansehe, bekomme ich einen Schreck. Eine blaue Säule, denke ich. Nichts mehr von mir ist da. Niemand erkennt mich unter dem Stoff. Mich als Frau gibt es nicht mehr, ich bin nur Schleier.
Es kostet mich Überwindung, so auf die Straße zu treten. Ich laufe langsam, immer ein paar Schritte hinter Ufuc, den Kopf gesenkt. Das Sichtfeld ist so stark eingeschränkt, dass ich ständig aufpassen muss, wohin ich trete. Bordsteine werden zu Stolperfallen. Ich bin froh, dass Ufuc mir beim Überqueren der Hauptstraße hilft. Überhaupt bin ich froh, dass Ufuc da ist. Ich möchte nicht alleine sein, fühle mich hilflos.
Wir gehen die Treppe zur U-Bahn hinunter. Die Menschen, die uns entgegenkommen, zucken zusammen. Schauen uns an, drehen sich fast panisch weg. Ich senke den Kopf, husche auf den Bahnsteig und stelle mich hinter einen Fahrkarten-Automaten. Ufuc kauft die Tickets. Seltsam, denke ich, in meiner Burka wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, mir selbst das Ticket zu ziehen. Völlig klar, dass mein „Mann“ das jetzt für mich erledigt.
Die Bahn kommt, die Türen öffnen sich, wir steigen ein. „Oh Gott, guck mal die da an“, flüstert ein Mädchen mit Zahnspange und pinkfarbenen Fingernägeln. Ihre Freundin in bunten Leggins schüttelt den Kopf: „Echt krass.“ Ich balle die Fäuste unter meinem Gewand. Beruhige dich, sage ich mir.
Beim nächsten Halt wird ein Platz zwischen zwei Frauen frei. Normalerweise hätte ich mich gleich hingesetzt, heute traue ich mich nicht. Die wollen vielleicht nicht neben mir sitzen, was soll ich machen, wenn eine aufsteht oder – noch schlimmer – mich anspricht?
Von meinem Selbstbewusstsein ist kaum mehr was übrig. Bevor wir losgegangen sind, habe ich noch damit geprahlt, dass mir die Blicke egal sein werden. Mich erkennt man ja nicht, ich kann cool sein.
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Mit Schwung ziehe ich mir die Burka über den Kopf, diesmal für immer. Ich werde sie niemals wieder tragen. Aber vielleicht behalte ich sie. Denn Burka zu tragen hat mich auch etwas gelehrt: Dankbarkeit, dass meine Welt keinen Schleier hat.
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